SHM Mittelmeer Flottille 2020 ..

.. ausgefallen, stattdessen: SHM Segler in den nördlichen Sporaden

Bekanntlich sind Corona bedingt die meisten Vereinsveranstaltungen abgesagt worden. Viele Fahrtensegler-Planungen waren allerdings mit Beginn der Pandemie schon so viel wie abgeschlossen. Daher haben knapp die Hälfte der Segler den diesjährigen Mittelmeertörn Törn in abgewandelter Form doch noch angetreten.

In vielerlei Hinsicht standen die Törnvorbereitungen zunächst unter keinem guten Stern: Unsicherheiten ob die Flüge stattfinden und die Fähren fahren, Transfer Hindernisse, Vorgaben seitens der Anbieter sowie amtliche Auflagen an das Bordleben. Dann kamen noch mittelfristige vier Absagen z.B. wegen Arbeitgeberwechsel und dann noch kurzfristig Erkrankungen und damit kurzfristiger Ausfall von drei weiteren Mitreisenden (nein, kein Covid-19). Die ersten vier freien Plätze konnten neu besetzt werden.

Nach allem Bangen dann der Aufbruch der drei Crews zur ersten Woche am 3.10.: Alles klappte perfekt: angefangen mit dem bequemen Transfer im gecharterten „SCHOOL BUS“ nach Düsseldorf, problemlose Akzeptanz unserer vorbereiteten „PLF“ (Passenger Location Form) bis hin zum großen Reisebus für uns 19 von Flughafen Thessaloniki zum Hafen nach Volos. Das übliche Prozedere mit Einkauf und Yachtübernahme und der Törn konnte beginnen:

Ankerbuchten mit kristallklarem warmem Wasser lockten zum Baden, speisen im milden Klima im Freien in Restaurants oder in der Plicht der Yachten. Vielfältige Variationen an Manövern mit dem Anker und natürlich auch segeln – wie meist: die erste Woche ging zu schnell vorbei – zumindest für die, die nur eine Woche teilnehmen wollten.
Deren Rückreise aber ebenso problemlos wie die Anreise der Neulinge für die zweite Woche. Jetzt fuhren wie geplant nur noch zwei Yachten.

Track zur ersten Woche


Ähnliche Begeisterung für die örtlichen Gegebenheiten wie in der Vorwoche. Dazu eine Abwechslung: ein Sturmtag mit Wind aus Süd war vor Buganker ab zu wettern.
Auch auch diese Woche ging schnell rum. Gerne wären viele geblieben.

Track zu Woche zwei

Fazit: zwar in jeder Woche nur ca. 140 sm im Kielwasser gelassen, leider einiges davon notwendigerweise unter Maschine zurückgelegt. Schöne Manöver, hervorragende Stimmung und weitgehende Entspannung in einer Gegend, die quasi Corona frei war. Zudem waren die Yachten in weit überdurchschnittlich gutem Zustand. Keine überfüllten Buchten und freundliche Griechen. Einziger Wermutstropfen: die Gastronomie war eingeschränkt für die Crew, die weniger auf die Bordküche gesetzt hatte.
Die Fotogalerie gibt Eindrücke zu allem. (Ekkes)

Zu zwei umfangreicheren Berichten über jeweils eine Woche geht es hier:

Tuna-bites, Tavernen und Inseln

(Sporadentörn 2020, 1. Woche)

Als im November 2019 die Törns des SHM für das kommende Jahr vorgestellt wurden, konnte sich noch niemand im Entferntesten vorstellen, wie ein Virus unser Leben auf den Kopf stellen würde. Ursprünglich hatten sich über 60 Teilnehmer für das Mittelmeertraining angemeldet. Doch die Infektionszahlen stiegen, es wurde eine weltweite Pandemie ausgerufen und auch Griechenland als Risikogebiet eingestuft. Somit wurde einige Monate vorher eine Krisensitzung unter den Skippern des Sporadentörns einberufen, um die Gefahrenlage zu diskutieren. Das Ergebnis war zweigeteilt: drei Skipper entschieden sich für sofortiges Storno, drei Skipper wollten segeln und damit die Lage bis zum Herbst beobachten.

Dann ein Lichtblick: die Infektionszahlen gingen zurück, das Virus wurde eingedämmt und Griechenland war, wie viele andere Länder auch, wieder ein sicheres Urlaubsziel geworden. Damit war der Weg frei für die drei Skipper und ihre Crews, um sich auf den Weg nach Volos zu machen, wo drei Yachten schon an der Pier auf sie warteten.

Das Jahr 2020 hat vieles verändert. Doch viele Traditionen blieben davon unberührt. So auch der Brauch, dass die jungfräulichsten Hanseaten den Bericht für den Mittelmeertörn verfassen. Somit beginnt unsere Geschichte am Freitagmorgen in Münster. Wir begeben uns zu zweit zum Bahnhof, bepackt mit zwei großen Sportgepäcktaschen für Kiteausrüstung, die wir dank der Airline kostenlos transportieren dürfen. Allerdings sind diese hauptsächlich mit Kleidung, Schnorchelausrüstung, Segelzeug und jeder Menge Gadgets von Ekkes gefüllt, die wir aufgrund der Gepäckbestimmungen mitaufgenommen haben. Unser Zug bringt uns nach Hannover, das Flugzeug nach Thessaloniki und ein Taxi in den Vorort Peraia, wo wir uns in einem überaus gemütlichen Apartment niederlassen. Dann der erste Kontakt: Meer! Vor uns der thermaische Golf, das Seegebiet vor Thessaloniki. Ein Spaziergang in der Sonne, ein Abendessen mit Füßen im Sand und die erste Begegnung vor Ort mit einem Teil der Crew (Markus und Astrid). Der Auftakt ist gelungen!

Samstag, 3. Oktober: Der erste Morgen in Griechenland. Nach einem schnellen Frühstück am Meer begeben wir uns ausgeschlafen mitsamt Gepäck wieder zum Flughafen. Dort fährt später der Mietbus ab, der uns und die restlichen Hansasegler zur Charterbasis nach Volos bringen wird. Gespannt warten wir auf die Frühaufsteher, die schon um vier Uhr in der Früh vom Aasee aufbrachen, um jetzt ebenfalls in Thessaloniki zu landen. Doch wir sehen nur Ekkes hinter zwei Masken, der auf den Bus zeigt. Dort tummeln sich schon viele Menschen, einige sitzen bereits im Bus. Wir sind erst unsicher: Die Gesichter kommen uns so unbekannt vor und mit den Gesichtsmasken als Schutz vor dem Covid-19 Virus wird eine Erkennung nicht leichter. Doch wir bemerken unseren Transferbeauftragten Kalle. Also laden wir die schweren Taschen ein und nach dem Durchzählen geht es schon los. Nach ca. 2,5 h Fahrt kommen wir am gewünschten Pier in Volos an. Alle können nun endlich den Mund-Nase-Schutz abnehmen und frische Hafenluft schnuppern.

Die Skipper und Co-Skipper der drei Yachten begeben sich unmittelbar zum Büro des Vercharterers. Gleichzeitig gönnen sich die Crews erstmal einen Eiskaffee im nächstgelegenen Kaffee bevor es für einige zum Einkaufen der Vorräte geht. Ekkes und ich (Philipp) haben den Papierkram zuerst erledigt und wir schlendern zum Pier, um die Jeanneau Sun Odyssey 440 (Bj. 2020) mit dem Namen „Olympia“ zu übernehmen. Für mich ist es die erste Übernahme einer Charteryacht. Daher ist es angenehm, dass die junge, griechische Kollegin so entspannt jeden Punkt der Checkliste mit uns durchgeht. Nach über einer Stunde beenden wir die Übernahme verschwitzt und haben nichts zu beanstanden. Wir sind überrascht, dass die Yacht so gut ausgestattet ist. Aber es handelt sich auch um ein neues Schiff, welches erst einige Wochen genutzt wurde. Die Pandemie hat auch den Vercharterer getroffen und die übliche Anzahl an Gästen blieb dieses Jahr aus.

Auf dem Steg warten schon ungeduldig unsere Mitsegler mit ihrem Gepäck, um endlich das Boot betreten zu dürfen. Nebenan haben Kalle und Co. ihre Jeanneau SO 490 (Bj. 2020) bereits übernommen und etwas weiter die Pier entlang sitzt Stephan mit seiner Crew bereits auf seiner Jeanneau SO 409 (Bj. 2015). Die drei „Proviantmeister“ und ihre Helfer haben den kleinen Laden in der Nähe des Hafens so gut wie leer gekauft, zur Freude des Inhabers. Netterweise bringen seine Angestellten alle Einkäufe in Tüten und Einkaufswagen bis zum Boot. Wir beschließen die Vorräte zu bunkern, das Gepäck zu verstauen und dann zügig auf Nahrungssuche in Volos zu gehen. Ein kurzer Blick auf die Google Bewertungen zeigt ein Meze-Haus ganz in der Nähe. Es wurde nicht zu viel versprochen: das kulinarische Erlebnis war hervorragend. Wir schwärmen noch heute von den frischen „Tuna-bites“. Hier werden sie uns bald wiedersehen… Zufrieden und satt geht es auf einen ersten und letzten Ouzo des Tages in die Koje.

Sonntag, 4.Oktober: Der Morgen beginnt sonnig, warm und mit einem gemütlichen Frühstück im Cockpit. Es gibt frische Crossaints und selbstgemachte Marmelade aus der Heimat. Noch bei der letzten Tasse Kaffee wird die Skipperbesprechung auf dem Nachbarschiff von Kalle, der Bellatrix, abgehalten. Hier kommen nun die unterschiedlichen Vorstellungen an den ersten Törntag ans Licht. Am Ende sind wir uns jedoch einig: Bei wenig Wind gegenan wollen wir eine längere Strecke zur Insel Skiathos motoren und in der Bucht von Koukounaries ankern. Dort ist eine Taverne, die uns hoffentlich mit Abendessen versorgen wird.

Die Yachten werden seefertig gemacht, alles verstaut und es kann losgehen. Doch plötzlich fällt uns ein, dass wir ja nochmal Wasser bunkern könnten. Der dazu notwendige Schlauch ist weit entfernt, doch die Bellatrix hat „den Längsten“ und mit dem passenden Adapterstück, können wir alle unsere Tanks nochmal randvoll machen. Am Ende läuft die Olympia mit Verspätung als letztes hinter der Bellatrix und der Calypso von Stephan aus dem Hafen von Volos aus. Später zeigt sich, dass die Bellatrix nicht mehr am Horizont zu sehen ist. Vermutlich ist auf dem größten Schiff der Flotille auch die größte Maschine verbaut. Die Calypso sollen wir bald einholen, was aber nicht verwunderlich ist, da die Crew doch einige Manöver auf dem Plan hatte.

So schippern wir in südlicher Richtung fleißig durch den pagasitischen Golf bis wir schließlich backbord Ruder in östliche Richtung geben, um direkt auf Skiathos zuzuhalten. Wir bemerken, dass sich die Winde südlich der Landzunge stark von der Vorhersage unterscheiden. Dem ein oder anderen kommt sogar schon der Gedanke ans Segelsetzen. Irgendwann bei ca. 8 Knoten NO entscheiden wir uns für das Setzen der Genua und Rollen zudem noch das Großsegel aus. Als wir zum ersten Mal mit dem ganzen Manöver durch sind, ist der Wind auch schon wieder abgeflaut. Also Kommando zurück und das ganze nochmal Rückwärts. Am Ende des Tages wird es offiziell heißen: Wir sind nach Skiathos gesegelt!

Dann erreichen wir unseren gewünschten Schlafplatz. Doch von der Bellatrix keine Spur. Sind sie woanders gelandet? Haben wir uns alle falsch verstanden? Über Funk erhalten wir keine Gegenantwort. Also wagen wir uns in die Bucht und beginnen das Ankermanöver. Neben einigen Yachten ist noch genug Platz, also legen wir uns so nah wie möglich an den wunderschönen Strand mit der idyllischen Taverne. In der Zwischenzeit erscheint die Bellatrix hinter einem Hügel. Die Crew war weiter draußen und hat den Wind für ein paar Segelmeilen genutzt. Nach dessen Ankermanöver gesellt sich auch irgendwann die Calypso noch zu uns. In der Zeit sind wir aber schon in der Strandbar um den einzigen Cocktail im Angebot zu trinken, die restlichen Vorräte der Saison zu verspeisen und den Sonnenuntergang zu genießen. Da die anderen Crews an Bord kochen, legen wir mit unserem Dinghi noch auf ein Kennenlerngetränk an der Bellatrix an und lassen den ersten gemeinsamen Abend vor Anker feuchtfröhlich ausklingen. Beeindruckend fanden wir die schnelle Wiederherstellung der ausgefallenen Wassertankpumpen während unseres Spontanbesuchs seitens Ekkes: ein paar Checks, hier was probiert, da gerüttelt und getestet und zack war das defekte Relais identifiziert und die Pumpen gingen wieder, ohne dass von den Feiernden an Deck überhaupt etwas bemerkt wurde. Wir haben noch viel zu lernen, dachten wir insgeheim.

Montag, 5. Oktober: Die erste Nacht vor Anker war ruhig und entspannt. Gut ausgeschlafen verspeisen wir ein Katerfrühstück. Das Wetter verspricht einen sonnigen Tag mit schwachen Winden. Wir beschließen in der Skippersitzung (wie gewohnt „um halb“) Kurs auf die nächste Insel Skopelos zu nehmen.

Das kleine Hafenörtchen Neo Klima verspricht Einkaufsmöglichkeiten, Tavernen und Versorgung mit Strom und Wasser am Pier. Wir laufen aus der Bucht und erhalten plötzlich Wind. Gleichzeitig erscheinen immer wieder große Flächen von unruhigem Wasser in der spiegelglatten See. Alle hoffen sofort auf Delfine. Wir ziehen die Segel hoch und drehen ein paar Runden auf der Stelle. Irgendwann erkennen wir, dass es sich um große Thunfischschwärme handelt. Einige Exemplare schießen unerwartet hoch in die Höhe und bestätigen diese Vermutung. Als sich die Schwärme entfernen, nehmen wir wieder Kurs auf unser Ziel. Kaum dass Ruhe einkehrt, fliegt auch schon ein Fenderpaar über Bord und will „gerettet“ werden. Mit eingeholtem Segel legen wir den Großteil der Strecke zurück, ab und an holen wir die Tücher aber auch wieder raus. Im idyllischen Hafen von Neo Klima wartet auch schon eine Premiere für uns: römisch-katholisch rückwärts am Pier anlegen. Unser Anleger gelingt mit der nötigen Gelassenheit erstaunlich gut. Der Ort hat seine Bordsteine zwar schon hoch geklappt und der Einkaufsladen ist eher ein teurer Kiosk, Wasser oder Strom suchen wir auch vergebens. Doch wir sind noch gut befüllt und finden am Ende einen Waffel-Eisladen der unser Blutzuckerspiegel auf neue Höhen treibt.

Die Nacht verbringen wir hier nicht, sondern in der wunderschönen Bucht Panormos wenige Seemeilen entfernt, wo wir uns mit Anker und Landleine festmachen. Das zweite neue Manöver für uns aber auch dieses gelingt trotz steilem Ankergrund hervorragend. Markus unser neu erkorener Dinghi-Taxi-Fahrer bringt uns nacheinander ans gegenüber liegende Ufer, in welchem wir wieder vorzüglich speisen.

Dienstag, 6. Oktober: Der neue Morgen beginnt mit einer Runde Schnorcheln im kristallklaren Wasser. Nach dem ausgiebigen Frühstück heißt es Leinen einholen, nächstes Ziel: Stafylos. Wir segeln bei entspannten 3 Knoten vor uns hin, als der Wind einschläft beschließen wir einen spontanen Badestopp auf dem offenen Meer einzulegen. Stafylos ist bereits im Winterschlaf, man findet nur noch vereinzelt Strandbesucher. Nachdem der Anker gefallen ist, erkunden wir die Unterwassergegend und genießen das herrliche Nass. Darena „borgt“ sich auf einen heißen Tipp von der Calypsocrew hin einige frische Rosmarinzweige von einem Grundstück und dieses wird unser einziger Abend sein, an dem wir kochen. Dass das Mahl vegetarisch ist, stößt zu unserer Überraschung kaum auf Gegenwehr.

Mittwoch, 7. Oktober: Langsam sind wir routiniert, Frühstück, aufräumen, Anker hoch, Segel raus. Die Skipper sind sich einig, es wird ein guter Segeltag! Am-Wind-Kurs: West-Nord-West auf Skiathos Stadt. Nach knapp 20 Seemeilen und einer Menge Segelspaß ohne Motorengeräusche fahren wir in den bisher größten Hafen. Wir sind uns zunächst nicht sicher, ob Muring oder Anker angesagt ist und entscheiden uns für eine recht schmale Lücke, in die wir gerade so rein passen. Wir werfen sicherheitshalber den Anker und fahren rückwärts an die Pier.

Wir liegen zwar gut, aber die Lautstärke der Straße veranlasst uns nochmal umzuziehen. Wir kuscheln uns neben die Bellatrix, die eine Muring ergattert hat. Wir füllen Wasser auf und freuen uns auf einen entspannten Abend mit den anderen beiden Crews der Flottille. Bevor wir uns die Bäuche vollschlagen gibt es zum Amüsement der Zuschauer eine Runde Stepaerobic auf Bier-Sixpacks. Ab und an fliegt ein Flugzeug direkt über die Bucht, Skiathos hat einen spektakulären Flughafen.

Donnerstag, 8. Oktober: Jetzt geht es schon zurück, wir passen auf, dass wir der großen Fähre nicht zu nahe kommen. Da wir fast alle zeitgleich ablegen, ist die Regatta eröffnet. Die Segel sind im Nu oben und ein harter

Am-Wind-Kurs bei 3-4 Bft liegt an. Nun können wir die Trimmmöglichkeiten der Yacht kennen lernen. Wir optimieren und trimmen was das Zeug hält, Ekkes baumt sogar unter Einsatz von Leib und Leben die Genua aus. Naja, das ist vielleicht übertrieben aber der Einsatz zahlt sich aus: der Vorsprung der fünf Fuß längeren Bellatrix schmilzt allmählich dahin. Nach einem geschickten Wendemanöver liegen wir vorne und erreichen als Erster Pteleós. Das verschlafene Fischerörtchen Achilleo bietet uns ein Lokal direkt gegenüber der Pier. Wieder speisen wir vorzüglich. Wir liegen sicher, der angekündigte Starkwind tritt allerdings nicht ein und so schlafen wir tief und fest.

Freitag, 9. Oktober: Nach einem leckeren Frühstück muss nicht lange über das nächste Ziel referiert werden, es geht zurück in den Ausgangshafen Volos. Zwischenzeitlich hat sich der Wind nochmal von seiner besten Seite gezeigt, Darena hat gelernt, dass auch bei voller Fahrt ein schnelles Boje-über-Bord-Manöver gefahren werden kann, indem beherzt das Ruder rum gerissen wird. Der anvisierte Badestopp muss ausfallen, da wir noch Tanken und Packen müssen. Zum Abschied eines gelungenen Mittelmeertrainings zieht es uns nochmals in das vortreffliche Meze-Restaurant, in welchem wir uns ein letztes Mal die griechischen Spezialitäten munden lassen.

Unser Fazit: Das war ein großartiges Segelerlebnis mit einer harmonischen Crew, voller toller Eindrücke und einer Menge gutem Essen! Wir sind überzeugt, dass uns die Sporaden nicht zum letzten Mal gesehen haben und sind dankbar für diese Erfahrung. YAMAS!

Darena und Philipp

Ausgerechnet Garnelen – Sonne, Sand, Griechenland

(Sporadentörn 2020, 2. Woche)

Nein, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Anreise war gut, Rückreise war gut, Skipper war super, Crew war super, Catering war 1a, Facility-Management war 1a, Sicherheitseinweisung war klar strukturiert, Navigation war klar strukturiert, Sonne war echt cool, Wetter war echt cool, Anker hielt fest, Festmacher hielten fest, Buchten, Städtchen, die Griechen selber waren uns ganz überwiegend wohlgesonnen, freundlich, einladend, hilfsbereit. Hier gleich dazu mal ein paar schöne Fotos:

Die Fakten: Aufstehen – ab zum Hafenparkplatz am Aasee in Münster – mit Bus nach Düsseldorf – mit Eurowings nach Thessaloniki – mit Bus nach Volos – mit Schiff bis nach Skopelos – per Pedes bis zum höchsten Gipfel der vorderen Altstadt. Und dann in streng umgekehrter Reihenfolge zurück, am Ende aber statt aufstehen hinsetzen, sonst passt es nicht.

Wer jetzt einen normalen Reisebericht erwartet, den muss ich enttäuschen. Dazu waren die Bedingungen zu speziell, die Atmosphäre zu dicht, Psyche in Aufruhr, die ganze Welt unsicher in ihren Angeln.

Ganz harmlos ging es los an jenem Samstagmorgen zu Beginn der Schulherbstferien, kaum vier Uhr, wir froren ein bisschen, der knuffige orange-gelbe Schulbus fuhr vor, wir sortierten unser Gepäck in das rückwärtige Gepäckfach des Busses, Sommer- und Winterausrüstung für einen Segeltörn im herbstlichen Griechenland, suchten uns einen Platz und schon tuckerte der Bus los gen Düsseldorf zum Flughafen. Klar waren wir alle noch müde, draußen, sobald wir die Stadt verließen, tiefe Nacht, unruhig dämmerten alle vor sich hin. Bedenken? Vorahnungen? Was hat das Virus mit uns geplant, wie wird es sich verhalten, verändert es auch die Menschen, hat es weiteren Einfluss auf die Natur? Natürlich gab es Albträume hier und da, Mitfahrer wälzten sich von links nach rechts, von rechts nach links. Der Bus tuckerte monoton vor sich hin, zuverlässig, stetig. Träume von Kinderspielen am Wasser, Stöckchen werden vom Bachlauf mitgenommen, auch einige der kleinen, noch unreif vom Baum heruntergefallenen Äpfel tanzen auf den Wassern. Steine reinwerfen, Fische versuchen zu fangen. Und immer wieder blitzen von den im Wachzustand als so herrlich gruselig empfundenen Grimmschen Märchen kurze Wolfsbilder durch den Kopf. Dunkel, haarig, gefletschtes Gebiss. Aber die Augen – handtellergroß, zwischen dunkellila und grellrot, übersät mit unzähligen sehr kleinen Beulen, den seit Jahresbeginn im Fernsehen hunderttausendfach gezeigten übergroßen Virendarstellungen nicht unähnlich.

Plötzlich wurde der Bus langsamer, fuhr mehrere Kurven, die auf der Autobahn überraschend kämen, wir waren tatsächlich schon am Flughafen. MundNasenSchutz noch mal ordentlich nachbinden und ausrichten, Taschen greifen und rein in den Flughafen, große Taschen abgeben, auf die kleinen gut aufpassen, durch den Sicherheitscheck, Schuhe durften alle dranbleiben – dort sind die kleinen Viralien wohl nicht zuhause – noch einen Cappuccino zum Wachwerden, ein bisschen rumlungern und die Zeit totschlagen, dann ab in den Flieger. Fensterplatz, hurra. Ist natürlich mächtig eng in der Ecke, dafür aber völlig ungestört. Außer wenn wieder das wertvolle Parfüm feilgeboten wird. Stört einen in den schönsten Gruselträumen. Nein, wir wollen positiv bleiben, Wind, Wellen, gleißende Sonne mit wohlverdienten Schattenplätzen, Grillengezirpe an einem Stück, Griechenland eben, der Geruchssinn wird regelrecht überstrapaziert … Oh nein, das ist das Käsebrot meines Nachbarn, ja damit wird man in den nächsten drei Stunden wohl leben müssen.

Gerade noch einen Blick auf den Olymp, jenen berühmten Götterberg, geworfen, schon rumpelte das Flugzeug über die Landebahn, die Landeklappen drückten die Flugzeugnase nach unten, der Gegenschub drückte uns in die Gurte, sitzen bleiben bis zur Aufforderung durch die Flugbegleiterinnen, die Aufforderung wurde aus Gründen der Abstandhaltung Reihe für Reihe erteilt, wieder musste der MundNasenSchutz besonders akkurat ausgerichtet werden, Treppe runter, schön warm war es draußen in der Sonne, mittags, rüber zum Terminaleingang, den QR-Code des Passagierlokalisierungsformulars – das Ding hieß tatsächlich so und war die größte bürokratische Hürde vor unserem Urlaub – rauskramen, dem Einreise-noch-im-Weg-stehenden Kontrollcheckbeamten das Ding unter die Nase halten. Hier wurde jetzt mal gar nichts gecheckt, reine Augen-Sichtkontrolle, irgendeine Artikelnummer aus dem Discounterregal der Flughafen-Zollfrei-Mitbringsel-Lädchen in Düsseldorf in sauber quadratischer QR-Form hätte zum gleichen Ergebnis geführt: Lächelnd, freundlich nickend, wurde Eintritt in Griechenland gewährt.

Das war jetzt zu einfach, zu nett, wo war der Haken. Alle in Düsseldorf aufgegebenen Reisetaschen warteten auf dem Gepäckband, der Busfahrer vor Ort wartete mit dem passenden Schild auf uns, gut, wir mussten sicherlich 220 Meter laufen bis zum Bus, aber das war mal richtig angenehm nach dem langen Stillsitzen. Der Bus hatte Platz für alle Reisetaschen, er hatte auch Platz für unsere ganze kleine Reisegruppe. Was für eine Orga, perfekt und minutiös von Münster aus durchgeplant bis in alle Einzelheiten, ganz dickes Lob und Danke dafür noch einmal. Einem wirklich schönen Segelurlaub kann doch jetzt rein gar nichts mehr im Wege stehen.

Zwei Boote standen für uns bereit, mit dem Heck an der langen Pier befestigt, Badeplattform geöffnet, genug Fender zur rückwärtigen und seitlichen Sicherung, der Bug an der Muring-Leine belegt, neues Bootdesignkonzept, man konnte jetzt richtig außen drumherum laufen, die beiden Skipper hatten die Boote mit der Erst-Wochen-Vereins-Crew schon bestens getestet und warteten jetzt auf uns Neuankömmlinge. Wir hingegen mussten erst über die schmale Wackelbrett-Gangway an Bord kommen, da war es wieder, das etwas komische Gefühl. Das Brett ist sehr schmal, ein Fehltritt würde nasse Folgen haben zwischen Boot und Pier. Aus Schwindel-Vermeidungs-Gründen schauten wir erst gar nicht bis ins Wasser, sondern balancierten mit den großen Gepäcktaschen an Bord. Vielleicht hätten wir etwas genauer ins Wasser hineinschauen sollen. Das haben wir uns noch häufiger gesagt in den nächsten Tagen. Vielleicht hätten wir etwas gesehen. Etwas wahrgenommen. Vorahnungen entwickelt. Oder uns nur über die eine Plastiktüte geärgert, die aus irgendwelchen Gründen bis zum Boden abgesackt war und jetzt kurz vor dem Fuß der Pier auf den langwierigen Verrottungsprozess wartete. Oder wir hätten ein Trugbild der Zentauren wahrgenommen, jener seltsamen mythischen Wesen, Unterkörper eines Pferdes mit vier Beinen, Oberkörper eines muskulösen Menschen mit Armen und Charakterkopf, ihre Geburtsstätte liegt in den Bergen über dem Pagasitischen Golf, der sich vor uns in alle Himmelsrichtungen ausdehnt.

Statt Anlegerbier gab es am ersten Nachmittag das Boarding-Bier. Dann aber noch mal schnell zur Flaniermeile in ein Cafe, Sonnenuntergang abwarten, der kleine Pfannkuchen-Bananen-Snack entpuppte sich als Mega-Tripel-Doppelwopper mit ca. 400 Milliliter Schokosoßen-Topping, kalorienmäßig weiter vorne als Usain Bolt bei seinen 100-m-Olympiasiegen vor der Konkurrenz. Die Mägen waren gefüllt und aufgerundet wie die Kugelfender am Bootsheck. Und immer wieder blickten wir in das phantastische Meer, zur einen Seite in das riesige Hafenbecken von Volos, zur anderen Seite in die offene, aber immer wieder von Hügeln und auch felsigen Bergen umgebene riesige Bucht. Das Wasser leicht bewegt, das Licht der Sonne auf dem Wasser machte fast blind, Konturen teils scharf, teils schwammig und müde, manche Stellen unter dem Sonnenlicht waren schlicht weg, ausgebrannt. Oder war es tatsächlich so, dass das Meer uns musterte? Uns abcheckte? Wie werden die in den nächsten Tagen zurechtkommen? Leichte Beute?

Keiner hatte daran gedacht, zum Törnbeginn Rasmus, Neptun oder Poseidon zu opfern. Wir hätten allen opfern sollen. Stattdessen gingen wir abends in die Altstadt zum Essen. Fisch. Natürlich Fisch. Aber dass einer ausgerechnet Garnelen bestellen musste, dieses Lieblingsgetier der Götter! Sie lagen gebraten auf dem Teller, viele, viel zu viele, sie wehrten sich nach Kräften, keine gab die Schalen freiwillig ab, ob man ihnen mit Messer, Gabel, den bloßen Händen zuleibe rückte. Sie sprangen über den Tisch, manchmal ein Schalenstück in die eine Richtung, der Rest in eine andere Richtung. Auch mal umgekehrt. Und dann der Geschmack erst, der vorderste Zentimeter war noch ganz lecker, der nächste gerade noch essbar, der Rest wäre definitiv besser im Meer geblieben. Jeder probierte und jeder kam zu ähnlichem Geschmacksgrusel. Nie wieder. Zumindest diese hier nicht. Dabei war der Rest im Lokal super. Schnelle Gänge zum WC. Zumindest um die Hände wieder zu säubern. Z.T. auch noch mehr.

Am nächsten Morgen schlugen die Meeres- und Wind-Gottheiten dann so richtig zu, man kann fast sagen, sie hauten mit geballter Faust hart auf den Tisch. Ich habe davon gehört, dass die Eskimo-Inuit bestimmt einhundert Namen für Schnee haben. Für die fallenden Flocken. Tanzend oder schwer niedergleitend. Für den weichen, liegenden Schnee. Für den immer noch weichen Altschnee. Für wieder tiefgefrorenen harten alten Schnee. Wer weiß. Ich denke mir, dass die Griechen noch viel mehr Namen für Wind bereithalten müssten. Seit Jahrtausenden sind sie auf den Meeren unterwegs. Wind getrieben. Von achtern, von steuerbord, von backbord. Seit vielen Jahrzehnten auch unter Motor gegenan. Gesäuselter Wind, hart geblasen, böig natürlich, orkanisch, zickzack um die Ecken pfeifend, leicht, stärker oder sehr stark anschwellend, oder abnehmend, auch periodisch hin und zurück, mit viel Getöse oder mit ohrenschmeichelndem Gesäusel, vielleicht nur ein leiser Zug oder doch die schwache Brise. Und? Nicht ein winziges Lüftchen. Windbrache. Niente. Totale Flaute. Auch die Wellen hatten sich zur anderen Seite des Mittelmeeres verzogen. Ja, das erste Ablegen mit unserem Boot am Morgen war jetzt natürlich ein leichtes. Aber so hatten wir das nicht gewollt. Motoren. Den ganzen Tag lang. Immer motoren. Man, kann das monoton sein. Dabei hatte ich in der Nacht von Rasmus, dem alten Windnormannen, und seinem griechischen Kumpel Aiolos geträumt. Beide mit fett aufgeblasenen Wangen, runden und breit nach außen gewölbten Lippen, die Anstrengung war ihnen anzusehen. Schon ein bisschen war ich in Sorge, dass sie zu hart daherpusten würden. Taten sie aber nicht, für das Urlaubsfeeling sorgten dann die Sonne, die milden Temperaturen, das Grün, Blau des Meeres, das hellgrau, mittelgrau und dunkelgrau gestaffelte Weitblick-Bild der neben-, hinter- und übereinander geschachtelten Berge und Hügel auf den Inseln und dem Festland. Selbst unter Motor kann man verdammt angenehm dahingleiten. Und den Gedanken ihren Lauf lassen. Und sich zwischendurch in den Tiefen des Meeres verlieren.

Das Meer, diese Tiefe, uneinsichtig, dunkel, schwarz, endlos, leblos heute, still, abwartend, abstoßend, und doch so anziehend. Was verbirgt es, was verbirgt sich selber, wer wartet, wer beobachtet? Und worauf wartet es? Ist es zutiefst gekränkt, dass wir ihm mit unserem Motor zu nahe kommen? Oder das kleine Opfer für gutes Gelingen einfach vergessen haben? Spielen die Meerestiefen schon mit uns? Nun, die letzte Frage lässt sich immer wieder mit der Kartentiefe verneinen. Jedoch – stimmen die Tiefenangaben so weit weg von der deutschen Gründlichkeit überhaupt? Das Echolot trägt elektronisch ebenfalls zur Diskussion bei. Weiter grünes Licht. Also Volldampf voraus.

Anker setzen. Und jetzt tatsächlich herannahender Wind. Für später noch einiges mehr angesagt. Anker muss halten. Macht er aber nicht so einfach. Nochmal. Auf den hellen Meeresboden-Flecken sollte er halten. Aber es gibt sehr viele dunkle Flecken, könnte Tang sein, Neptungras, Braunalge, Seegras, es gibt sogar eine Killeralge im Mittelmeer. Die Augen brennen schon von der intensiven Suche, da ergibt sich ein größeres helles Feld. Nix wie runter mit dem Anker, ab zu den Meeresnixen, rückwärts reinziehen, ordentlich Kette ablassen, wie war noch mal die Regel, dreimal so viel Kette wie das Boot lang ist, fünfmal die Wassertiefe, siebenmal so viele Kettenglieder wie das Alter des Käptens, wie alt ist unser Käpten eigentlich. Ein paar Handzeichen und fragende Blicke später scheint alles in Position.

Landmarken, ob der Anker hält. Der Baum mit dem Felsvorsprung in Linie. Und dann die Taverne mit dem Fahnenmast. Außerdem die Linie mit den beiden anderen Booten in der Bucht. Super Idee, die Boote werden sich die ganze Nacht bewegen. Noch besser der Felsvorsprung. Die Dämmerung setzt schon mächtig ein. Wo ist nochmal ein Felsvorsprung? Da war vorhin auch noch ein Baum. Bleibt nur die Taverne, die wird ja sicherlich bei dem wenigen Tourismusverkehr in diesem Jahr rund um die Uhr geöffnet haben, um die wenigen umso gezielter anzulocken. Nö, doch nicht, warum wird denn jetzt schon das Außenlicht abgedreht? Na, das wird mal eine Nacht werden. Alle immer auf dem Sprung, im Notfall schnell den Motor wieder an und von der Küste weg. Das erste richtige Anlegerbier schmeckt tatsächlich so ein kleines wenig schal. Muss die gute Seeluft sein.

Unruhige Nacht. Wind frischt auf, die Bucht liegt für den Süd-Süd-Ost doch recht ungeschützt. Ein Fall schlägt immer mal wieder an den Masten, gerade eben so viel, dass keiner meint, er müsse mal aufstehen und das blöde Teil festzurren. Die Ankerwachen-App hat gestern am Abend schon ausgelöst, fast ohne Bootsbewegung, das Vertrauen darin ist jetzt nicht mehr gerade riesig. Wellen schlagen immer wieder an das Boot, das Schlagen wird in Träume eingebaut, es ist mal rhythmisch, mal eben nicht, dann wartet man, dass es endlich wieder an die Bordwand knallt und uns durchrüttelt, dann knallt zur Abwechslung mal wieder das Fall mit dem feinen durchdringenden Ping an den Masten. Der eine steht auf, geht raus, blickt auf die Linien und die Abstände, die man in der Dunkelheit erkennen kann, passt noch alles, legt sich wieder schlafen, der nächste steht auf, kontrolliert, zurück, wieder jemand, diesmal ist nur die Blase durchgerüttelt gewesen und die Toilette muss aufgesucht werden. So geht es weiter, hier stimmt der Rhythmus. Für alle, etwas gerädert, gibt es das erste Bordfrühstück, kaum vorher Zeit für die Katzen- oder Schwimmwäsche hinter der Badeplattform, Motor wieder an, Anker hat bis hierher gehalten, Anker jetzt raus, weiter.

Es liegt etwas in der Luft. Der ganze Tag läuft ab in Erwartung. Das Tagesziel definiert sich von alleine. Und das Tempo muss sich dem anpassen. Zeit bis ungefähr mittags. Dann muss uns ein schützender Hafen beherbergen. Kräftige Böen bis Windstärke 8, viel zu banal beschrieben als stürmischer Wind, kündigen sich an. Der Hafen von Skopelos soll es sein, wir wollen ja nicht schon wieder zurück und kneifen. Erneut erst unter Motor ordentlich Meile machen, der Wind hat nämlich nach der Nacht stark nachgelassen, er muss seine Kräfte schonen für die nächste Nacht, später sogar ein wenig die Segel raus, da wir gut im Zeitsoll liegen. Wunderschöner großer Hafen mit ebensolch wunderschöner Stadt, mal so richtig griechisch wie im Bilderbuch. Vorne der Anker raus, rückwärts an die Kaimauer, dicht holen, Druck drauf, hält. Soweit erst mal gut. Kaum Welle, kaum Wind, abwarten. Warten. Wirklich leckeres Anlegerbier. Warten. Ab und zu kommen weitere Boote in den Hafen. Alle wissen nicht so genau, auf welcher Seite sie anlegen sollen. Warten. Da kommen noch mehr, viele, ein ganzer Schwarm, mehr als zehn Boote von einer Gruppe. Jetzt wird es sehr speziell. Aggressivität liegt in der Luft, erst nur vereinzelt laute Stimmen, dann Brüllen, Gerenne, Bootsmotoren heulen auf, Fender müssen schnell umplatziert werden, nein, doch wieder zurück, Boote drücken sich zwischen Boote, zwischen denen vorher schon kein Platz mehr war, noch mehr Boote schieben sich an die vermeintlich beste Seite des Hafens, die schon längst so wirkt, als könnte sie niemals mehr die beste Seite des Hafens sein. Menschen springen auf fremde Schiffe, versuchen fremde Leinen zu lösen, gestikulieren und schreien rum, das kommt gar nicht so gut, Gegenreaktionen der eigentlichen Schiffsbesatzungen, Auge in Auge auf kürzeste Distanz, Schlichtungsversuche, gegenseitiges Unverständnis, weitere Schlichtungsversuche, schließlich das Schlichtungsgelingen. Durchatmen. Und wieder warten.

Woher kamen diese Gefühlsausbrüche, warum die Nerven so blank? Klar will keiner die zu erwartenden 40 Knoten mittschiffs seitlich auf sein Boot gedrückt bekommen, klar will keiner die dazugehörigen Wellen ungeschützt abfedern müssen, aber diese Nervosität, Angst, Anspannung, ja fast Panik sind doch etwas viel. Hat das Virus schon weltweit die Stimmungslage okkupiert, hat es sich in den Gedankengängen aller eingenistet, sind das schon erste Vergiftungserscheinungen, nähern sich die Reizschwellen dem Knöchellevel an? Wir nehmen das jetzt mal alle so hin als kurz auf- und wieder abrollende Wellen, wie es uns das Meer ja tagtäglich an seinen Ufern vormacht. Nützt eh nichts, in dieser Nacht sitzen alle, wenn auch nicht in einem Boot, so doch im gemeinsamen Hafen. Richtig lecker Essen gehen überbrückt, ein Schluck Retsina und ein Schlückchen Ouzo helfen ebenfalls zu überbrücken. Nachts wackelt es tatsächlich beträchtlich, bis weit in den nächsten Tag hinein, vereinzelt laufen Boote am frühen Nachmittag aus, wir bleiben noch eine Nacht, jetzt alles ruhig. Aber dieser Tag fehlt uns, morgen geht es andersherum um die Insel schon auf den Rückweg.

Segelwind. Richtig fetter Segelwind. Raus aus dem Hafen, die Genua mit Reff nur halb raus, Groß bleibt erst noch drin, Schiebewind, später halb von Steuerbord, Groß dazu. Echte Windlöcher hinter den näher liegenden Inselbergen, durch die Schneisen dagegen fast verdoppelt. Wackelige Wellen, z.T. kurz und gallig. Schließlich zwischen den Inseln durch, freier Wind, freie Welle, so ein bisschen Reff ist manchmal gar nicht so verkehrt. Höhe laufen so viel wie geht, reicht noch längst nicht, Wende, weiter aufkreuzen, beide Segel maximal dicht holen, Winschen knarren schon wütend, Genua-Traveller vor und zurück bis zur temporären Optimierung, die Trimmfäden hüpfen, springen, tänzeln, dann wiederum strecken sie sich perfekt horizontal waagerecht wie auf dem Reißbrett gezogen. Wir alle lieben das Segeln. Die Stimmung ist super. Mutig. Beim Skipper sogar übermütig. Keiner kann im Nachhinein sagen, was ihn da geritten hat. Und warum in der unmittelbaren Folge alles dermaßen aus dem Ruder lief. Als hätte keiner der Crew (hier sind jetzt alle eingeschlossen) jemals zielgerichtet Aufgaben auf einem Segelsportboot wahrgenommen.

Das berühmte Boje-über-Bord-Manöver. Plötzlich fliegen zwei aneinander gebändselte leere große Trinkflaschen über die Reling, unmittelbar gefolgt von dem entsprechenden Warnausruf. Alle wissen genau, was zu tun ist, mindestens drei Arme zeigen mit ausgestreckten Zeigefingern ständig zum Bojen-Imitat, während der Rudergänger schön nach Lehrbuch die Q-Wende abfährt. Und die passenden Kommandos zur Bedienung der Genua kundtut. Und auf die Abstände und Bootslängen achtet. Das Boot stampft, giert zur Seite weg, Wellen knallen ununterbrochen, jetzt durch die Wende, die Segel schlagen kurz, abfallen, Ruhe ins Boot bringen. Boje anfahren, aufschießen, Boje aufnehmen, fertig. Soweit die Theorie. Ruhe ist tatsächlich an dieser Stelle im und auf dem Boot. Viel zu ruhig. Alle schauen sich verdutzt an, die ausgestreckten Zeigefinger sind merkwürdig eingeklappt oder verschämt komplett verschwunden. Vielleicht gab es mitten in der Wende einen Zeitpunkt, an dem wirklich noch ein Zeigefinger das Ziel anvisierte, das kann aber im Nachhinein nicht mehr geklärt werden. Fakt ist, keiner weiß mehr, wo es langging. Wir stieren auf den Horizont, einige Bootslängen vor unseren Bug, oder auch seitlich am Bug vorbei, querab, Blicke gehen sogar nach hinten, auf das eigene Fahrwasser, vielleicht sind wir ja schon drübergefahren. Es ist Mittag, das Licht auf den vielen Wellen ist unsagbar grell, wenn man in Richtung Sonne schauen muss, und genau dort ist die größte Wahrscheinlichkeit, unsere Pseudoboje wiederzufinden. Noch eine Länge. Jetzt müssen wir aber wirklich schon vorbei sein. Innerlich abgeschrieben sind die beiden Plastikflaschen inzwischen sicherlich bei jedem von uns, das ist kein gutes Gefühl, auf diese Art und Weise aktiv den Plastikmüllberg in unseren Meeren vorsätzlich und wissentlich weiter aufzutürmen. Und nochmals einige Sekunden später gibt das Meer unsere Fender-Attrappe tatsächlich wieder blickfrei. Eine Bootslänge quer vor uns. Hinsteuern, Tempo raus aus dem Boot, Bootshaken über die Reling, bereit zur Aufnahme, Ziel verpasst. Abfallen, nochmal. Wird keiner glauben, aber die Situation wiederholt sich mit nahezu identischem Ablauf. Und identischem Ergebnis. Dritter Anlauf. Wer sagt’s denn, schon im dritten Anlauf wird das arme Flaschengespann endlich gerettet. Grandios, hat kaum eine halbe Stunde gedauert. Bei richtigen Menschen über Bord würde alles natürlich sehr viel schneller gehen, im ersten Anlauf, ohne Umwege. Wir wissen ja, dass nach fünfzehn Minuten schon erhebliche Unterkühlungsvorgänge einsetzen. Jetzt geht der Skipper persönlich ans Ruder. Münchner Manöver, so gut es bei diesem Wind geht. Hauptsache, die Flaschen-Boje nicht so weit aus dem Blick lassen. Nun, was soll der Chronist sagen, die Boje ist zwar einerseits immer im Blick, andererseits machen Wind und Wellen, was sie wollten, sie schieben die verbundenen Flaschen immer dann ein Stückchen zur Seite, wenn der Bootshaken ihnen bedrohlich nahe kommt. Die Flaschen wollen einfach nicht aus dem Wasser, oder das Meer will sie nicht mehr hergeben. Ebenfalls im dritten Versuch schon erfolgreich, die ganze Crew komplett geschafft, abhaken als semi-optimal, aber auch die Gewissheit, dass wir alles wieder aus dem Meer herauskriegen, und bräuchten wir noch so viele Anläufe, jetzt aber nur noch geradeaus zu unserem Tagesziel.

Wir können viel spekulieren, warum wir die Manöver derart verrissen haben. Ich sitze jetzt drei Wochen nach unserer Rückkehr am Schreibtisch, in der letzten Nacht hat die Präsidentenwahl in den USA stattgefunden, man weiß nicht, was das Virus mit dem noch aktuellen Amtsinhaber gemacht hat, sein Verhalten wirkt manchmal, sagen wir mal, seltsam. Gerade habe ich im Internet noch einmal recherchiert, ja, es sieht tatsächlich so aus, dass das Virus auch Tiere befallen kann, viele Untersuchungen gibt es mittlerweile in Bezug auf Haustiere, Katzen, Hamster, Hunde, sind Frettchen eigentlich auch Haustiere? Auch dass diese sich gegenseitig weiter anstecken können. Könnte diese Tatsache Hintergrund für unser Manöver-Desaster gewesen sein? Ich stelle jetzt mal zwei Thesen auf. Man muss auch mal divergent denken dürfen. Erstens: Auch Fische können durch das Virus angesteckt werden. Und anderes Meeresgetier. Speziell Garnelen. Zweitens: Die Verhaltensweisen von infizierten Meerestieren sind seltsam, sie sind unberechenbar, ja, sie können sogar bösartig wirken. Von einem neutralen Betrachter aus betrachtet. Unser Plastikflaschen-Boje-über-Bord-Manöver wurde sabotiert! Die Rache der kleinen Garnele am großen Mann. Nicht eine einzelne, sie sind organisiert. Schwarmintelligenz. In der ersten Manöversequenz müssen sie die Flaschen jeweils länger unter Wasser gezogen haben, klar, dass wir die Flaschen vom Boot aus nicht mehr sehen konnten. Aber es war ein anstrengender Job für die Garnelen, zwischendurch mussten sie jeweils kurz ausspannen, wir hatten jeweils kurz vollen Blick auf die Bojen-Attrappen. Dann wurden sie wieder runtergezogen. In der zweiten Manöversequenz wurden sie nicht mehr hinuntergezogen. War wohl zu anstrengend. Es reichte vollkommen, wenn die schräge Garnelenschar im passenden Augenblick, kurz bevor der Bootshaken zugreifen konnte, die Flaschen nur ein kleines Stück zur Seite drängten. Anschließend klopften sie sich sicher vor lauter grellem Spaß mit ihrer Schwanzflosse auf die Schenkel oder an die Fühler, sicher tränten ihnen die Glupschaugen vor Lachen. Um das Thema abzurunden, Garides Saganaki (Γαρίδες σαγανάκι) heißt die griechische Garnelenart, die wahrscheinlich damals schon Odysseus um seinen Verstand und seine seglerische Zielstrebigkeit gebracht hatte.

Nein, allen geht es wieder gut mittlerweile, wir haben doch noch etwas zu essen bekommen am Abend, zuvor sind wir in einer wunderschönen Bucht angelandet, ein wenig so wie Kolumbus damals in den Karibikbuchten, nur fehlte die dramatische Musik, die zu diesem Zweck bei allen Filmen vor jeder Bucht in Dolby-quadro-super-surround eingespielt wird. Schon beim Reinfahren verhieß die gegenüber liegende Taverne alle Köstlichkeiten des Landes und des Meeres für den Abend im Sonnenuntergang am Sandstrand unter Bambussonnenschirmen. Aber erst mal das Boot in der Bucht schön ausrichten, zwischen Ankerkette vorne und langer Festmacherleine um einen großen Felsblock achtern. Schön stramm ziehen, es waren noch drei andere Boote in der Bucht, freies Kreiseln um den Anker wäre keine gute Idee. Heute schmeckte das Anlegerbier aber mal so richtig lecker.

Badeplattform runter, schwimmen, leider dabei frontal und heftig mit einer Feuerqualle angelegt, wir haben den Kürzeren gezogen, sofort aus dem Wasser verzogen, unsere Niederlage kurz beweint, dann ausgehfein gemacht, zu fünft rein in das kleine Dinghy-Gummibeiboot, ungefähr einen Kilometer rübergetuckert, das Meer lag richtig schön ruhig, griechische DLRG-Station mit Rescue-Boat, konnte gar nix passieren. Und schon hatte ich einen nassen Hintern. Ohne Steg mussten wir direkt am Strand anlegen, genauer, darauf fahren, als „Maschinist“ war ich an diesem Abend für den kleinen Außenborder zuständig, Benzinhahn noch zumachen, Entlüftungsschraube rechtsrum, Motor hochklappen, vorne standen die anderen vier schon auf dem Strand, hoben das vordere Bootsende hoch und zogen die ganze Geschichte inklusive „Maschinisten“ bis aufs Land, nicht aber ohne das hintere Ende des Bootes dabei einmal kräftig ins Wasser zu drücken. Die anderen setzten sich dann hin, nachdem ein Tisch für uns bis auf den Strand gestellt wurde, ich musste rumlaufen, den Hintern in die untergehende Sonne halten, ein paar Postkartenfotos, Hose weiter trocknen, wundern oder zumindest feststellen, dass unsere Taverne die einzig geöffnete an diesem wunderschönen Strand in dieser wunderschönen Bucht war, ach ja, Tourismus ist ja sehr, sehr schwierig in diesem schwierigen Jahr. Selbst in unserer Taverne war doch recht wenig los.

Die Hose schließlich trocken, kam ich zum Tisch der anderen, Zeit genug vergangen, gekommen war bisher nur ein einsamer Ein-Personen-Retsina. Stimmt, daran hatten wir alle nicht gedacht, wenn sich die Gastronomie schon mal so langsam auf den Winter einstellt und sicher auch im Sommer leider eher wenig zu tun hatte, dann können einzelne Gäste die Tagesplanung des Wirtes schon mal mächtig durcheinander bringen. Hier wurde erst mal nichts bestellt, geschweige denn geliefert, der Wirt war plötzlich dermaßen damit beschäftigt, die schon lange leeren Tische abzuräumen und abzuwischen, dass wir noch ganz viel Zeit für Fotos hatten. Und über Feuerquallen zu recherchieren. Und Boje-über-Bord zu diskutieren. Eine ganze Stunde lang. Dann konnten wir schon bestellen. Wir haben gut gegessen, keinesfalls Garnelen, der Wirt hat sich tatsächlich hinterher entschuldigt und uns noch ordentliche Tässchen Ouzo dahingestellt.

Versöhnlich war’s, die passende Stelle für ein Schlusswort. Atmosphäre pur, die Sonne ging genau in der Öffnung der Bucht unter, Farbenspiel, Strahlungswärme, nach dem Ouzo auch von innen, Stimmung richtig rund, der Feuerquallen-Arm konnte mich erst nachts wieder ärgern, am nächsten Tag sollte uns noch ein weiteres der vielen Highlights erwarten, ein sehr kleiner, sehr romantischer Hafen in einem ebenso romantischen, ebenso kleinen Dörfchen auf einer kleinen, romantischen Insel ziemlich am Rande des riesigen Mittelmeeres. Aber das wäre eine andere Geschichte …

Walter Dorgarten