Kopenhagen und Meer
Die Crew der SY SEESTERN war seit dem Jahr 2000 ein wenig verwöhnt. Wurden die angepeilten Ziele doch fast fahrplanmäßig erreicht: Ob Bornholm oder die Westschären, die friesischen Inseln oder London, die englische Südküste und die Kanalinseln oder der Limfjord mit einem Abstecher nach Schweden – in schöner Regelmäß;igkeit kam die SEESTERN in der zur Verfügung stehenden Zeit am Ziel an.
Diese schöne Serie fand 2007 ihr Ende: Schottland blieb für uns bei permanentem Westwind und insgesamt sehr instabilem Wetter unerreichbar. 2008 also ein neues Ziel: Kopenhagen. Da unsere Kinder durch den erreichten oder absehbaren Schul-abschluss absehbar für einige Zeit zum letzten Mal bei einem längeren Sommertörn dabei sein konnten, sollte diesmal alles klappen.
Mit vollen Segeln in den Urlaub – SY SEESTERN auf dem Weg in den Großen Belt.
Sonntag, 29. Juni 2008. Wir sind gestern am Ijsselmeer angekommen und heute nach Makkum gesegelt. Morgen soll es auf eine Insel gehen, vielleicht Terschelling, weil auf Vlieland noch umgebaut wird. Doch dann vermeldet der Wetterbericht spätestens zur Wochenmitte ein deutlich steigendes Gewitterrisiko; keine idealen Bedingungen also für eine längere Nachtfahrt. Kurz entschlossen entscheiden wir uns, die Insel nicht anzulaufen und am Montag gleich von Makkum aus zur Elbe zu starten. Vorbei an Harlingen und durch die Waddenzee, vorbei an Vlieland in das Stortemelk und dann immer nach Osten. Die Küstenverkehrszone entlang der west- und ostfriesischen Inseln ist uns von den Vorjahren her bestens bekannt.
Die Fahrt verläuft ruhig, ohne besondere Hektik. Der Wind ist mäßig, kommt aus achterlichen Richtungen. Terschelling und Ameland gleiten gewohnt langsam vorbei. In Höhe von Schiermonnikoog wird es langsam dunkel. Ein traumhafter Sonnen-untergang wird bewundert und fotografiert, dann lässt sich Oliver im Cockpit die leuchtenden Seezeichen erklären, staunt über den Sternenhimmel und schläft schließlich im Schlafsack und mit selbst konstruierter Gurtsicherung ein.
Maren hat sich derweil in die Kajüte verzogen, während Gudrun und ich die großen Ansteuerungstonnen „abarbeiten“. Gegen vier Uhr übernehme ich das Ruder in Höhe von Norderney.
Vier Stunden später kommt der Wind wieder, so dass nun auch der Motor, der seit dem späten Abend mit lief, schlafen gehen kann. Wirklich ein Glück mit dem Wetter: Die Sonne verdrängt rasch die Wolkendecke, und bei besten Bedingungen können wir an Wangerooge vorbei Richtung Elbe segeln. Nach dem Frühstück sind wir wieder zu viert – ein wenig müde zwar, aber glücklich über den gelungenen Urlaubsauftakt.
In der Elbmündung, als wir schon die erste Reede mit großen Frachtern passiert haben, erwischt uns dann doch noch der Gegenstrom, so dass wir Cuxhaven im Schneckentempo erreichen. Einerlei: Nach 184 Seemeilen am Stück haben wir den Sprung von Holland her geschafft und feiern das mit einem Gläschen Sekt.
Prompt verschlechtert sich das Wetter wie angekündigt, so dass wir nach einer ausgiebigen Ortserkundung und 30 Stunden Dauerregen erst drei Tage später in Richtung Brunsbüttel aufbrechen. Im Hafen dort hinter der Schleuse bewundern wir die hochhausähnlichen Frachter, die zum Greifen nahe in den Nord-Ostsee-Kanal einfahren. Ein sonniger Abend vergeht bei bester Laune und mit leckerem Bordessen, bevor am kommenden Morgen der Innenlieger des Fünfer-Päckchens schon um sechs Uhr ablegen will. Na gut, so frühstücken wir eben während der Kanalfahrt und profitieren vom frühen Start, weil wir in Kiel noch vor einem kräftigen Gewitterguss in Heikendorf festmachen können. Auch in der Kieler Förde genehmigen wir uns drei Tage Landerkundung: Laboe und die Innenstadt werden mit dem Fördedampfer angesteuert.
Yachthafen Brunsbüttel – die großen Pötte fahren auf Tuchfühlung vorbei.
Als der Wetterbericht von stabileren Verhältnissen berichtet, starten wir den Ostseeteil unseres Urlaubs in Richtung Marstal. Aber schon vor dem Leuchtturm, in Höhe von Laboe, ist es vorbei mit der Stabilität: Blitze und Donnergrollen verabschieden uns nach Dänemark. Dort zeigt sich weitgehend blauer Himmel mit frischem Wind – eine schöne Abwechslung nach den letzten Tagen. Doch als wir am nächsten Mittag alte Erinnerungen an den Svendborgsund auffrischen wollen, macht uns ein Dauerregen mit miesen Sichtverhältnissen leider einen Strich durch die Rechnung. Wir sehen kaum die Ufer mit der märchenhaften Spielzeuglandschaft, finden schließlich in Troense auch keinen Liegeplatz und legen deshalb am gegenüber liegenden Ufer der Insel Thuro bei einer Werft an. Hier verbringen wir einen netten Abend, können im Ort sogar ein wenig einkaufen.
Im Großen Belt steuern wir tags drauf Nyborg, die Produktionsstätte großer Heringsfabriken, an, bevor wir die Große Belt Brücke natürlich wieder bei Regen durchqueren, um anschließend bei achterlichem Wind kräftige Schauerböen abzuwettern. Kalundborg auf Seeland ist unser nächstes Ziel, und wir sind wirklich froh, als wir den Hafen nach eigentlich zu viel Wind endlich gefunden haben. Nette Nachbarn helfen beim Anlegen – bei sechs Beaufort von der Seite freut sich da wohl jeder.
Den kleinen, von der Petrochemie geprägten Ort verlassen wir schon am nächsten Morgen und laufen an der Nordspitze Seelands die Insel Sejero an. Verblüffend:
Mastengewirr in vollen Häfen – wie hier auf Sejero
Obwohl wir am Nachmittag nicht sonderlich spät ankommen, sind die Päckchen schon gut gefüllt. Wir finden einen freundlichen Motorbootfahrer, der uns auch gleich die Landstromverbindung anbietet. Riesige Fähren legen hier regelmäßig an, ansonsten ist es ein eher beschauliches Plätzchen. Odden Havn, unser nächstes Ziel, sorgt für einen ungewohnten Adrenalin-Ausstoß bei der ansonsten doch routinierten SEESTERN-Crew: Als wir nach einem problemlosen Segeltag die Segel bergen und in die Hafeneinfahrt einbiegen wollen, fährt das Schiff … geradeaus!
Nichts hatte zuvor auf ein Ruderproblem hingedeutet, aber nun ließ sich das Boot nur mit Mühe rückwärts auf der Stelle halten. Alles probieren blieb erfolglos. Oli und Maren organisierten die Telefonnummer des Hafenmeisters, erreichten ihn auch mit der Bitte, uns ein Motorboot zu schicken. Leider blieb die Antwort eher unbefrie-digend: „Kommt erst mal rein!“, meinte der nette ältere Mann. Doch das war schwierig.
Zum Glück kam eine kleine dänische Yacht, die bereit war, uns zu schleppen. Gudrun organisierte das Vorhaben auf dem Vorschiff, schließlich halfen noch zwei Jungs in einem Schlauchboot mit Außenborder, uns um die plötzlich so bedrohlichen Steine in der Einfahrt herum zu bugsieren. Bald lagen wir längsseits an einer Bremer Yacht und durften erst mal durchatmen. Oli öffnete die Kiste mit der vor einem Jahr eingebauten neuen hydraulischen Ruderanlage und stellte fest, dass sich die Ruderstange losgedreht hatte. Obwohl das Gewinde nicht mehr perfekt war, konnte er die Stange wieder einbauen, kontrollierte sie seitdem täglich und sicherte damit wieder die Manövrierbarkeit der Seestern. Wie gut, dass der Technik-Kurs seiner Gutenberg-Realschule sich mit Hydraulik befasst hatte, sonst wäre man sicher nicht so locker an die Reparatur gegangen.
Etwas vorsichtig verließen wir einen Tag später den Hafen, probierten das Ruder aus, erlebten aber bis zum Ende des Törns keinen Zwischenfall mehr. Gileleje hieß das letzte Ziel vor Kopenhagen – ein großer Fischerei- und Sporthafen auf der Nordseite von Seeland. Auch hier war nur ein Liegeplatz im Päckchen zu haben – Dänemark machte Urlaub. Bei mittlerweile schönem Wetter brachen wir von hier auf, passierten Helsingör mit dem berühmten Hamlet-Schloss, bewunderten eine schicke schwedische Holzyacht und nahmen dann im Sund flotte Fahrt auf. Halber Wind in zunehmender Stärke sorgte für satte acht Knoten auf dem GPS. Da kam Kopenhagen schnell näher.
Schloss Kronborg in Helsingör – die Heimat von Hamlet.
Als Hafen hatten wir uns gegen Langelinie und für den Swanemoellehavn ent-schieden. Die dort sicher verfügbare Box war uns wichtiger als die zentrale Lage, und wir sahen die zehnminütige S-Bahn-Fahrt in das Stadtzentrum schon als ersten Einblick in das Alltagsleben der dänischen Hauptstadt an. Kopenhagen mit seinen ausgedehnten Shopping-Meilen, mit der Porzellan-Manufaktur Royal Copenhagen, der Brauerei Karlsberg, den innerstädtischen Wasserwegen, die zu Opernhaus, Schloss Amalienborg, Schauspielhaus sowie zu den diversen Hafenabschnitten führen, – das alles haben wir drei Tage lang genossen. Auf einem antiken Flohmarkt erstanden wir ein Schälchen aus Meissener Porzellan zum Schnäppchenpreis. Und wir erfreuten uns am vielseitigen Leben auf den Straßen mit Künstlern, Gauklern und jederzeit vielen Zuschauern.
Vielseitiges Kopenhagen – der Eingang zum Tivoli.
Als besonderen Ausflug überquerten wir die noch nicht einmal zehn Jahre alte Sundbrücke mit der Bahn und sahen uns an einem Sonntag Malmö, das schwedische Gegenüber von Kopenhagen, an.
Dort beeindruckten uns zahllose Brunnen und Plastiken, die das Stadtbild prägen. Besonders gefallen hat uns ein innerstädtischer Park mit seinem ganz natürlichen Flair. Hier hat die Natur ihren Platz mitten in der Großstadt behalten – eine Oase der Ruhe, gerade recht, um zwischen der Arbeit einmal auszuspannen.
Mit der Bahn dauert die Verbindung über die rund 50 hohe Sundbrücke zwischen Kopenhagen und Malmö nur eine gute halbe Stunde. Von oben sehen die Segler im windgekräuselten Sund wie Spielzeugboote aus. Ein gewaltiger Windpark und ein Industriegebiet auf der schwedischen Seite runden den Eindruck ab.
Nyhavn – pulsierendes Leben und eine der Flaniermeilen von Kopenhagen.
Erst am Dienstag verlässt die SEESTERN Kopenhagen. In einiger Entfernung geht es am maritimen Stadtzentrum vorbei – ein Großsegler läuft gerade ein. Unser erstes Ziel auf der Rückreise ist Rödvig, ein Fischereihafen südlich der Fakse Bucht. Nach einem netten SMS-Kontakt mit Freunden aus dem Kegelclub, die hier mit dem Wohnwagen Urlaub machen, haben wir uns spontan zu einem Pfannekuchen-Abend in diesem Hafen verabredet. Zwischendurch ist der Wind auch mal mau, der Weg zieht sich, aber dann langt es doch noch rechtzeitig zu unserem Treffen. Wir liegen als fünftes Boot im Päckchen, was den Freunden eine erhebliche und ungewohnte Kletterei abverlangt. Es wird ein lustiger Abend!
Klintholm und Gedser sind die letzten Stationen vor dem Törnziel Warnemünde. Inzwischen hat sich brillantes Sommerwetter eingestellt, das wir nach dem Regen gerne genießen. In Klintholm braten wir Fisch und machen eine merkwürdige Entdeckung im Supermarkt. Hier werden Kartoffeln einzeln verkauft – für 6,95 DKR, drei Stück kosten dann 16,95 DKR – das sind runde 2,40 Euro! Merkwürdig auch für das Agrarland Dänemark, dass Zucchini und Gurken häufig aus holländischem Import stammen.
Der Weg nach Warnemünde wird ein hartes Stück Arbeit. Die ganze Nacht hat es durchgeblasen. Wir legen mit freundlicher Leinenhilfe des Nachbarn bei sechs Windstärken aus Ost ab, setzen im gerade leeren Fährhafen das gereffte Groß sowie ein nur sehr kleines Stück der Genua und düsen mit sechseinhalb Knoten Richtung Süden. Die Wellen sind lang und ausgeprägt, kommen von der Seite und lassen das Boot kräftig krängen. Die Gischt weht schon von den Kämmen. Zweimal werden alle im Cockpit heftig geduscht – so ist nun mal der Wassersport!
Möns Klint – die Kreidefelsen der Insel Mön.
Wir sind froh, als wir die Ansteuerunstonne von Warnemünde mit dem Tonnenstrich, den wir rechts liegen lassen, erreicht haben. Der neue Yachthafen Hohe Düne ist im Gegenlicht schwer auszumachen, da die Einfahrt stark verschränkt ist. Beim Näherkommen öffnet sich dann aber bald die Perspektive, und wir haben keine Schwierigkeiten mehr. Nach dem Tanken finden wir an Steg B einen guten Liegeplatz. Von hier aus lassen sich über die Mole hinweg die Fähren und großen Schiffe auf der Warnow hervorragend beobachten. Gerade abends ist dies ein bemerkens-wertes Schauspiel!
Hohe Düne ist eine Marina der Superlative, mit rund 15 Euro pro Nacht für ein Zehn-Meter-Boot aber nicht überteuert. Alle Versorgungseinrichtungen stehen zur Verfügung. Hotel und Kongresszentrum geben einen eindrucksvollen Rahmen, und das Personal beim Hafenmeister erweist sich als ebenso freundlich wie kompetent. Eine Barkasse bringt uns kostenlos über die Warnow zum Alten Strom.
Da drüben pulsiert wie eh und je das maritime Leben zwischen Fischbrötchen, Restaurants und Ausflugskuttern. Jeden Tag bietet ein Fischmarkt frische Leckereien aus dem Meer.
Wir bummeln ein wenig, nehmen ein Fischbrötchen und ein Bier, fahren dann wieder in die ganz eigene Welt der Hohen Düne zurück und kochen ein letztes Mal an Bord.
Pause am Alten Strom in Warnemünde – da schmeckt das Fischbrötchen!
Der Samstag vergeht mit Putzen und Packen, mit den üblichen Verrichtungen am Ende eines Törns. Die Ersatz-Gasflasche wird getauscht, das Wasser aufgefüllt und eine defekte Buglampe erneuert.
Als alles befriedigend gelöst ist, fallen wir zum „Captain’s dinner“ bei „Newport Fisch“ ein. Warnemünder Scholle bzw. ein delikater Fischteller schmecken uns bestens, und das hat schon Tradition bei der SEESTERN. Es war auch auf diesem Törn der einzige Restaurantbesuch, denn wir lieben Gudruns abwechslungsreiche und unkomplizierte Bordküche. Auch unser „Wintergarten“, die Kuchenbude, die für einen trockenen Übergang von der Achterkajüte in den Salon sorgt, hat sich für die Mahlzeiten wieder bestens bewährt.
Am letzten Tag des Törns aber lassen wir uns auswärts verwöhnen und verholen uns anschließend in eine Bar in der dritten Etage, von der aus wir sogar noch ein Feuerwerk gut beobachten können.
Am Sonntagmorgen steht um 10 Uhr pünktlich der bestellte Leihwagen vor der Marina, da die Anschlusscrew in diesem Jahr erst eine Woche später eintrifft. Das Gepäck für vier Personen mit diverser Ausrüstung in einem Kombi unterzubringen, fällt uns „Bulli“-verwöhnten Seglern schwer. Aber auch diese Aufgabe wird gemeistert. Um 22 Uhr sind wir nach einer eher längeren Fahrt wieder zu Hause in Münster und können sogar noch den Leihwagen abgeben.
Feuerwerk in Warnemünde – ein schöner Abschluss für den SEESTERN-Törn
Bei der ebenfalls schon traditionellen „Nach-Törn-Pizza“ resümieren wir zu Hause diese neueste Reise der SEESTERN-Crew: 640 Meilen, davon einen erheblichen Teil unter Segeln – vor allem, wenn man den „Pflicht-Motor-Teil“ im Nord-Ostsee-Kanal in Rechnung setzt – das kann sich sehen lassen. Kopenhagen war eine neue europäische Metropole, die wir von See aus „erobert“ haben – wie in den Vorjahren schon London, Göteborg und Southampton. Auch das hebt die Laune. Die problem-los verlaufene Nachtfahrt wird von den älteren mehr, von den Jüngeren eher weniger geschätzt. Allen jedoch hat das Bordleben gut gefallen – daran werden wir noch lange zurück denken, wenn wir wieder unseren Alltagsdingen nachgehen. Eine mehrwöchige Auszeit im Sommer unter Segeln, das ist und bleibt nun einmal ein tolles Urlaubsprogramm!
Wolfgang H