Seesterns Sommertörn 2006

Einsame Strände,
felsige Buchten

Seesterns Sommertörn 2006

Zugegeben: Nach London (2004) und den Kanalinseln (2005) fiel uns die Wahl eines Ziels für 2006 nicht ganz leicht. Familienfreundlich sollte es wieder sein, allen durchaus auch unterschiedlichen Wünschen zumindest in Teilen gerecht werden. Aber auch Neuland war gefordert. Schließlich haben wir in unserer Törnplanung mit der SEESTERN seit dem Jahr 2000 immer nur die unvermeidlichen Scharnierstellen „wiederholt“.
Der Limfjord erfüllte viele dieser Vorgaben. Die dänische Verbindung zwischen Nord- und Ostsee hatte uns schon lange gereizt, und auch der Gesamtplan bot viel: Eine Route durch die Deutsche Bucht, ein Wiedersehen mit unserer Lieblingsinsel Amrum, neue Eindrücke von der dänischen Westküste und obendrein noch einen abschließenden Ausflug in die westschwedischen Schären, die wir von 2002 noch in allerbester Erinnerung hatten. Lange Sandstrände und schroffe Felsenbuchten – das sollten reizvolle Kontraste für 2006 sein.
Die Familiencrew unserer SEESTERN blieb auch dieses Jahr konstant. Bei unseren heranwachsenden Kindern Maren (16) und Oli (14) gibt es erfreulicherweise noch keine Tendenz, das Familienboot zu verlassen. Immerhin segeln wir in dieser Besetzung schon 12 Jahre zusammen. Steuerfrau Gudrun (49) brachte in diesem Jahr ihren frisch erworbenen Sportseeschifferschein mit, so dass sich Skipper Wolfgang (51) schon auf ein bewährtes Team verlassen konnte.
Wie es sich in den vergangenen Jahren bewährt hat, stand auch in diesem Jahr ein Zeitbudget von fünf Ferienwochen zur Verfügung. Und weil wir die ersegelten Ziele immer auch richtig kennen lernen wollen, stand auch 2006 unser Freund Günter Voigt zur Verfügung, um das Schiff vom dänischen Fredrikshavn aus mit einer Wechselcrew zurück nach Holland zu segeln. Was jetzt noch fehlte, war ausschließlich gutes Wetter.
Makkum, Friesland, 26. Juni 2006: Kaum Wind, dafür intensiver Regen. Kein Urlaubsauftakt nach Maß. Wir gönnen uns einen Ruhetag, bummeln, lesen, spielen Boccia und hoffen auf besseres Wetter. Am nächsten Tag geht’s nach Vlieland – immerhin, die Sonne lässt sich sehen. Über der Insel hängt eine gigantische Wolke, aber die Aussichten sind gut.
Das sollten sie auch. Denn von hier wollen wir bis Helgoland durchfahren. Die seit Jahren immer wieder verschobene Nachtfahrt soll es sein. Um 12.30 Uhr ist es soweit: Wir legen ab, genießen den mitlaufenden Strom bis zur anderen Seite der Insel und gehen dann auf die Linie der großen Tonnen, die die Küstenverkehrszone entlang der west- und ostfriesischen Inseln markieren. Der Wind meint es gut, wir segeln gegen den Rest der ablaufenden Tide und freuen uns dann vom Spätnachmittag an über einen leichten „Schiebestrom“ von anderthalb Knoten. Wie immer: Terschelling hört gar nicht auf. Irgendwann löst der Leuchtturm von Ameland den „Brandaris“ ab. Einzelne Fischer kreuzen unseren Weg. Nur wenige Segler sind unterwegs.
Gegen Abend serviere ich einen Sauerkrauttopf mit Mettwürstchen. Gudrun steuert derweil präzise und kann schon vor der Dämmerung den 30 Meilen weit reichenden Leuchtturm Borkum ausmachen. Leider liegt der Sauerkrauttopf ein wenig schwer im Magen – ein einziges Bier wird doch nicht schaden? Die Stimmung ist gut, der Sonnenuntergang prächtig. Weit in der Ferne, in Richtung des Verkehrstrennungsgebietes zieht ein Segler als winziger Punkt durch das Abendlicht. Gegen elf Uhr richten sich die Kinder zum Schlafen in der Kajüte ein. Wir haben inzwischen das Ölzeug an, legen Fernglas und Handscheinwerfer zurecht. Die Positinslampen brennen längst.

Für Gudrun ist es die erste Nachtfahrt. Trotz des Neumondes wird es nicht völlig dunkel. Die Leuchttonnen sind jetzt viel weiter zu sehen als am Tag. Wir passieren die Ansteuerungstonnen der verschiedenen Fahrwasser: Westerems, Osterems, Juister Riff – alle sind ohne Anstrengung auszumachen. Navigation der einfachen Art. Wir klönen und genießen die Fahrt durch die Nacht. Vor der Emsmündung fährt offensichtlich ein Messschiff hin und her, einzelne Fischer sind ebenfalls zu sehen. Frühmorgens sind wir vor Norderney: Die Tonne Dovetief markiert die Einfahrt, aber wir wollen ja weiter, in den neuen Tag hinein, nach Helgoland.
Nach Sonnenaufgang löse ich Gudrun am Steuer ab. Inzwischen ist die Tide wieder gekippt und bremst uns. Im Gegenlicht sind die Tonnen viel schlechter zu sehen als in der Nacht. Nach nur drei Stunden übernimmt Gudrun wieder, so dass ich Kaffee kochen kann. Allmählich werden die Kinder wach und sind verwundert: Das war’s schon? Nacht schon vorbei? Aber wir haben ja gar nichts gesehen!
Wir lassen die Tonne TG 19 an Backbord und kreuzen somit regelgerecht, da rechtwinklig, das Verkehrstrennungsgebiet. Jetzt geht’s nach Norden! Gegen Mittag liegt Helgoland vor uns. Die Lange Anna grüßt majestätisch, bevor wir erst Diesel bunkern und dann im Südhafen als drittes Schiff im Päckchen festmachen. Geschafft! Diesen Weg hatten wir auf früheren Reisen mit jeweils zwei Stopps auf Borkum und auf Norderney unterteilt. Jetzt liegt mit 148 Seemeilen eine deutlich kürzere Gesamtstrecke im Kielwasser, weil die weiten Einfahrten in die Seegatten entfallen sind. Unsere Lieblingsinsel Amrum rückt damit vom holländischen Liegeplatz am Frisokanal vor Stavoren noch etwas näher. Aber die Wetterbedingungen müssen halt stimmen!
Die Ansteuerung von Amrum läuft über das Rütergatt. Die Tonnen sind gut auszumachen und schon bald staunen wir über das Wrack der „Pallas2, jenes Holzfrachters, der 1998 hier strandete und der sich langsam, aber sicher immer tiefer in den Sand eingräbt. Deutlich kann man mit dem Fernglas noch Details erkennen. Wittdün empfängt uns mit viel Wasser im Hafen. Hier ist fleißig gebaggert worden, seit wir 2003 hier waren. Wir gönnen uns zwei Tage Amrum bei schönstem Sommerwetter, mit Fahrradfahren, Baden am Süddorfer Strand, einer Wanderung um die naturbelassene Nordspitze sowie einem Bummel durch Nebel mit seiner schönen Kirche.
Alle genießen das Urlaubsparadies in vollen Zügen, inklusive des WM-Spiels der deutschen Mannschaft gegen Argentinien. Aber dann geht’s weiter: Disziplin ist angesagt. Denn wer am Anfang bummelt, der verpasst am Ende die schönen Schärenbuchten.
Hörnum ist unser nächstes Ziel, aber auf Sylt gönnen wir uns aus den genannten Gründen nur einen Tag. Bis List bringt uns der Bus, Deutschlands nördlichste Fischbude ist den Besuch allemal wert. Am nächsten Tag nimmt die Insel von See aus gesehen gar kein Ende. Schwacher Wind lässt uns nicht gerade dahin rauschen, aber das ist eben Urlaub. Am Abend kommen wir durch’s Lister Landtief nach Romö. Der Danebrog weht unter der Steuerbordsaling, Dänemark ist erreicht. Der Hafenmeister nimmt uns persönlich an, zeigt uns den Waschraum und kassiert eine mäßige Hafengebühr. Wie an 32 von 35 Abenden verwöhnt uns Gudrun mit einem leckeren Abendessen – das Bordleben gefällt uns wie immer hervorragend.
Der große und quirlige Hafen von Esbjerg empfängt uns am nächsten Tag mit einem schönen Sportboothafen. Auch hier begrüßt uns gleich der Hafenmeister auf dem Steg. Leider kann man schon gegen 18.00 Uhr kein Brot mehr kaufen – Oli und ich machen uns auf einen weiten Fußweg in die Stadt und finden prompt noch zwei Weißbrotstangen an einer Tankstelle. Der Einsatz hat sich gelohnt.
Hier in Esbjerg bemühen wir uns um mehrere Quellen für den Wetterbericht: Über Deutschlandradio empfangen wir den Deutschen Seewetterbericht. Das Handy liefert den ebenfalls sehr detaillierten Bericht von „Wetterwelt“, der den Tag in Abschnitte von jeweils sechs Stunden unterteilt, und im Hafen hängt noch eine Prognose aus lokalen Quellen. Das alles ist nötig, denn morgen geht es durch das gefürchtete Horns Rev – jene Untiefe, die in Zeiten unsicherer Standorte und vor allem bei Sturm aus West so manches Opfer gefordert hat.
Da das Wetter angenehm und unsere Position über den GPS jederzeit bekannt ist, entschließen wir uns, den näheren Weg zu fahren.

Tonnen geben überdies Sicherheit und nach wenigen Meilen haben wir die früher so schwierige Passage hinter uns. Der Weg nach Norden ist dann ziemlich ereignislos: Unendlich scheinende Sandstrände ziehen sich bis Hvide Sande, einen Fischerhafen, der an diesem Abend nur von drei Yachten „bevölkert“ wird. Doch das soll noch getoppt werden, denn in Thorsminde am nächsten Abend sind wir am Gästesteg des Fischereihafens die inzigen Segler und müssen erst einmal ein paar Säcke mit Netzen zur Seite räumen, um gut vom Boot zu kommen.
Wir besichtigen das Strandungsmuseum und lassen einen Tag mit allzu frischem Wind verstreichen, bevor wir nach Rücksprache mit dem Hafenmeister gut durch die nach Westen völlig ungeschützte Hafeneinfahrt kommen. Bei sechs Windstärken und mehr kann diese für Segler schnell unpassierbar werden.

Der Leuchtturm Bovsberg, hoch oben auf den sandigen Klippen, wird von Drachenfliegern genutzt – ein spektakuläres Bild unmittelbar an der Strandlinie.

Bei der Einfahrt nach Thybörön merken wir kaum etwas von Strom – es sind eben die ungünstigen Wetterverhältnisse, die hier das Wort vom „spuckenden“ Limfjord geprägt haben. Uns empfängt er jedenfalls ausgesprochen friedlich, während wir zur geschäftigen Sportbootecke des geräumigen Fischereihafens fahren. Und nachdem wir seit Romö kaum noch Segelboote gesehen haben: Hier sind sie wieder – Dänen, Deutsche, Holländer und sogar Engländer haben ihre Flaggen gesetzt. Hier können wir auch Vorräte ergänzen, bevor unsere Fahrt vorbei an der riesigen Fabrik „Chemie Nova“ in eine wirklich idyllische Bucht mit dem malerischen Örtchen Lemvig führt.
Um es vorweg zu nehmen: Zwischen Lemvig und Logstör kurz vor Aalborg liegt ein ausgesprochen reizvolles Revier mit einer tollen Landschaft, mit breiten Wasserflächen, die auch zum Kreuzen einladen, und mit zahlreichen freien Kapazitäten für Segler. Das ist wirklich ein Eldorado hoch im jütländischen Norden.
Zu den reizvollsten Eindrücken gehört unbedingt das Städtchen Glingore gegenüber der Insel Mors, deren Hauptort Nyköbing wir zu Fuß erkunden. Etwas klein geraten fanden wir dagegen das Limfjord-Museum in Logstör, das in wenigen Räumen mit Fotos und Dokumenten, aber ausschließlich mit Informationen in dänischer Sprache aufwartet. In Aalborg entschieden wir uns ganz bewusst für die neue Marina vor der Stadt, die als Vereinshafen vorzügliche Einrichtungen bietet. Hier nutzen wir z. B. Waschmaschine und Trockner, was bei fünfwöchigen Törns durchaus hilfreich sein kann.
In Hals, dem Tor zur Ostsee, war es dann endgültig vorbei mit Liegeplätzen zum Aussuchen. Während im westlichen Teil des Limfjords, vor allem aber an der Westküste kaum etwas von lebhafter Ferienzeit zu merken war, drängten sich hier dänische, deutsche und vor allem schwedische Segler. Läden und Restaurants waren gut gefüllt. Die Erzählung des netten Nachbarn, Läsö sei noch wesentlich überfüllter, nahmen wir leider nicht so ganz ernst – bis wir selbst am nächsten Tag in Osterby bei frischem Wind mühsam durch völlig zugeparkte Boxengassen manövrierten. In 20 Jahren Fahrtensegeln haben wir nicht siebenmal nacheinander eine Ablehnung auf die Frage nach dem Längsseitsgehen bekommen. Während sich eine große holländische Yacht in den Fischereihafen verholte, fanden wir nur durch Beharrlichkeit einen Platz als achte im Päckchen. Die Hafenmeisterin erschien ausschließlich zum Kassieren, von Organisation keine Spur. Vor allem schwedische Segler sorgten mit ihren Heckankern für bizarre Gebilde von Päckchen rund um die Stegköpfe.
Bei so viel Andrang sparten wir uns glatt den Gang an Land und liefen am nächsten Morgen schon um 8.00 Uhr wieder aus. Lohn der frühen Mühe: Schon gegen 14.00 Uhr erreichten wir die schwedische Seite des Kattegats und fanden in Lerkil einen guten Liegeplatz ohne Gedrängel und Massenbetrieb.
Mit Schweden hatten wir jetzt sozusagen die Zugabe unseres Urlaubs erreicht: Nach den Nordseeinseln und den endlosen Sandstränden an Dänemarks Westküste, nach den landschaftlichen Reizen des Limfjords und der touristisch belebten Ostsee sollten jetzt kleine Häfen und Schärenbuchten für Abwechslung sorgen.
Schon in der Bucht Fjordholmen südlich von Göteborg ging dieser Plan auf: Nach einem untauglichen Versuch, am Fels festzumachen, fanden wir mit Hilfe eines freundlichen einheimischen Seglers eine passende Stelle, um SEESTERN vor Heckanker und Landleinen anzulegen. Erkundungen mit dem Gummiboot und bei einer Kletterpartie brachten reichlich Einblicke in die Schönheit dieser Landschaft aus Fels und Wasser. Auch der nahe gelegene Hafen Donsö überzeugte uns einen Tag später. Die absolute Krönung unseres Kurz-Abstechers in die Westschären wurde jedoch die Bucht Ramnö, die wir bei schwachem Südwind anliefen und in der wir als einzige Yacht zur Nacht vor steilen Felsgebilden liegen konnten.

Bunte Blumenpracht in den Steinmulden, übergroße Schmetterlinge, ein traumhafter Ausblick über die Landschaft – das alles haben wir ausgiebig genossen und tief in uns aufgesogen. Allein dieses Erlebnis des völlig individuellen Anlandens in einer urtümlichen Natur hat den weiten Weg von Holland bis nach Schweden gelohnt. Bestens bewährt hat sich das neu installierte Heckankersystem „Ankarolina“ mit einem Gurtband auf der Trommel. Wir hatten es mit einer neuen Ankerkette für den Buganker von unserem letztjährigen Familienpreis der Kreuzer Abteilung gekauft.

Mit Gottskär lernten wir am nächsten Tag einen weiteren kleinen Hafen mit besonders gutem Service bei Liegeplatz und Tankstelle kennen. Hier staunten wir über einen fast 30 Meter langen britischen Segler aus Holz, der scheinbar mühelos in der Boxengasse manövrierte. Von Lerkil aus nahmen wir Abschied von den

schwedischen Schären, denn unsere fünf Wochen gingen zu Ende. Das dänische Fredrikshavn hatte sich schon 2002 bei einem Crewwechsel bewährt, und auch diesmal ging der Wechsel mit Günthers Crew, die die SEESTERN zurück nach Holland brachte, gut von statten. Der letzte Abend gehört bei uns traditionell dem Captain’s Dinner – diesmal bei einem vorzüglichen Fisch-Buffet, das uns allen vieren bestens mundete. Runde 750 Seemeilen und vier Länder lagen hinter uns. Unliebsame Überraschungen hatte es nicht gegeben, stattdessen ließen sich alle Planungen gut umsetzen. So fiel die Bilanz unseres Limfjord-Törns durch und durch positiv aus, und schon auf der ebenfalls problemlosen Rückfahrt mit dem Auto schossen Gudrun und mir erste Ideen für eine SEESTERN-Reise im nächsten Jahr durch den Kopf. Aber das wird die Geschichte im nächsten Jahr werden . . .

Wolfgang Horn