„Wenn ich ein Tretboot leihe, bin ich doch Skipper!?“ Also, was soll die Frage?
Natürlich, eine/r ist immer an Bord verantwortlich, siehe auch Wikipedia. Aber darum geht es nicht, sondern für Crewmitglieder einen Tag die Verantwortung für eine Segelyacht mit Crew zu übernehmen, um ein Gefühl zu bekommen, was Skipper-sein bedeutet. Welche Aufgaben dazu gehören, was Skipper of the Day kann und weiß (oder noch nicht). Und dann kommt noch das bekannte Unbekannte hinzu, die seglerischen bzw. seefahrerischen Überraschungen, mit denen auch Skipper of the Day rechnen muss. Und um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: der offizielle Skipper für den Törn auf der Yacht ist und bleibt vollverantwortlich für Boot und Besatzung und hat im Zweifelsfall das letzte Wort! So gesehen, ist Skipper of the Day eigentlich eher Wachführer*in für einen Tag.
Als ich 2022 einen Dickschifftörn machte, hörte ich auf dem Partnerboot, dass Skipper Stefan Interessierten so etwas nicht zum ersten Mal anbot. Nachdem mich seine Crewmitglieder schlau gemacht hatten, war mein Interesse geweckt. Auf unserem Boot ergriff ich flugs, mit Einverständnis von Skipper Walter, die Gelegenheit und habe (zum ersten Mal) etwas in’s Logbuch geschrieben, mich wieder etwas in Seekarten-Lesen und Kurs- bzw. Position-Bestimmen eingefuchst. Die Binnenscheinprüfung war einige Jahre her und die Halbwertzeit des Wissens… weiter äußere ich mich nicht. Am Ende der Reise fragte ich Walter, ob er das auch für Noch-Nicht-Skipper machen könne anlässlich einer nächsten Segelreise.
In diesem Jahr ergab sich die Gelegenheit auf dem Törn von Greifswald nach Bornholm. Ich hatte mir überlegt, welche Kenntnisse ausbaufähig sind, was ich mir verspreche, was mir wichtig ist. Walter hatte für uns zusammengestellt, was zum Skipper-sein dazu gehört. Das war ziemlich viel und sehr aufschlussreich, beschrieb die Liste nicht nur den nautischen Aufgabenteil, sondern auch den bootsmännischen – also alles, was für Verantwortliche dazugehört, bevor es am Morgen losgeht, während der Tagesstrecke und im Zielhafen.
Kurzum, die lange Strecke quer über das baltische Meer stand bevor und Stichwort „bevor“, bevor ich mich versah, hatte ich eine neue Großaufgabe, die ich sicherheitshalber mit Crewmitglied Martin gemeinsam bewältigen wollte; außerdem hat er einen Funkschein.
Die To-Do-Liste war lang, der Abend nach dem Essen kurz, die Müdigkeit groß und 70 sm lautete der Plan für den Folgetag. Also „frisch“ ans Werk mit den Vorbereitungen für diese Themen:
– Wie komme ich aus dem Hafen Sassnitz heraus?
– Wo muss ich danach hin?
– Was erwartet uns nach Seekarte auf der Strecke?
– Welches Wetter ist angekündigt?
– Wie sieht der Zielhafen Rønne aus?
– Wann müssen wir los, um nicht zu spät anzukommen?
Gott sei Dank war die Etappe nautisch recht einfach. Die Vor-Abstimmung mit Walter ergab kaum neue Erkenntnisse. Uff.
Am Morgen hieß es, frühzeitig aus der Koje kommen, Ablegesituation und erste Kurse rekapitulieren, Ablegemanöver planen, Wetterberichte einholen, Situation an Oberdeck begutachten, Funke an, Etappenerläuterung für die Crew, Ablegemanöverbesprechung und Aufgabenverteilung vor dem Ableger sowie währenddessen. Ist viel Zeug, aber die Crew bestand aus erfahrenen Seebär*innen, die vieles im Griff hatten.
Kurz gesagt, es klappte: wir kamen ohne Komplikationen los, und dank wenig Wind, ruhiger See und angenehmen Temperaturen genossen wir – an Steuerbord die aufgehende Sonne, an Backbord die Kreidefelsen der Insel Rügen – unser Frühstück an Deck, sogar Martin und ich. Etwas überraschend konnten wir später ein Verkehrstrennungsgebiet ohne Querverkehr geradlinig queren; das war das Einzige, was mir aufgrund der Vorjahreserfahrung südlich Lolland Sorgen bereitet hatte (man wundert sich, wie die Schiffsriesen gar nicht aufhören größer zu werden, näher zu kommen, und wir sie vielleicht doch vor uns passieren lassen oder besser hinter uns, mit oder ohne unsere Kursänderung …). Naja, selbst langsame Pötte sind doppelt so schnell wie wir, viele fahren die drei- bis vierfache und manche gar die siebenfache Geschwindigkeit (Wo kommt der denn her? Der war doch eben noch gar nicht zu sehen!).
Nach vielen, teils abwechselungsarmen Stunden kam Rønne in Sicht. Unter Deck und am Kartenplotter die Hafensituation erneut checken, wann erreichen und verlassen welche Fähren mit welchen Kursen den Zielhafen, Hafenbecken und Liegeplatz auswählen, Anlegemanöver planen und vorbereiten, Leinen fest, Boot hafenfertig machen, Hafenmeister und Sanitärgebäude besuchen, Logbucheinträge abschließen, Seekarte ausradieren, Nachbesprechung (gute Infopolitik, manchmal zu schnell im Hafen, Gastlandflagge vergessen). High five, Anlegerbier, abschalten, Abendessen, schlafen.
Das hat echt Laune gemacht, viel gebracht, war für mich weniger anstrengend und herausfordernd als gedacht und gern noch mal.
Auf der Rückfahrt gab es bald ordentlich Wind, und wir konnten richtig gut segeln. Unser Gennaker kam zum Einsatz und direkt nach dem Setzen durfte ich, Sassnitz Steuerbord querab, das bekannte Unbekannte erleben. Wir hatten zwischen 13 und 14 Knoten raumen Wind, Ballonsegel und Groß gesetzt, als aus heiterem Himmel eine Bö mit 19 Knoten heranbrauste. Die Krängung nahm stark zu, unsere Yacht luvte schlagartig an, und trotz mehr und mehr Gegenruder dauerte es einige, gefühlt viel zu lange, Sekunden, bis das halb aus dem Wasser ragende Ruder in einer größeren Welle wieder griff und das Boot gerade rechtzeitig in die gewünschte Richtung fuhr (Ich hatte einen Moment wirklich Zweifel, ob ich das Ruder zur richtigen Seite drehte). Nochmals uff! Wenn das schief gegangen wäre, hätten wir einen sog. „Sonnenschuss“ erlebt. Kurz darauf noch einmal, auch gut gegangen, diesmal mit einem anderen Rudergänger. Darauf hin holten wir das Groß ein und konnten dadurch entspannter mit immer noch 7 kn durch die 1,5 m hohen Wellen rauschen.
Fazit: jederzeit wieder Skipper of the Day, am besten ohne Beinahe-Sonnenschuss oder andere Erlebnisse der dritten Art. So schwierig ist das nicht, halt eine Menge auf einmal, davon vieles Neue. Tipp: zu zweit macht der Skipper of the Day mehr Spaß, weil man seine Überlegungen teilen und besprechen kann. Nebenbei entdeckt man seine eigenen Holzwege und kann interessierte Crewmitglieder an Gedanken und Gefühlen teilhaben lassen.
Eines bleibt natürlich: Der „richtige“ Skipper ist immer dabei, greift bei Bedarf ein, und die Verantwortung für Crew und Boot bleibt erheblich. Ob ich jemals Skipper sein werde, steht in den Sternen, da mir u.a. die nötigen formalen Scheine (noch) fehlen. Wie sagte Herr Beckenbauer? „Schaun mer mal.“
Text: Hans-Christoph T.
Fotos: Crew der „Becks“