Kielboottraining 2024 in Balk/NL

Wir haben Freitag, den 20.09.2024 und bei mir macht sich Hochstimmung breit! Dieses Wochenende steht das Kielboottraining in Balk an. Das Gennakersegeln („bunte Tücher“) steht dabei im Mittelpunkt. Wer mich genauer kennt, der weiß, die Niederlande meine zweite Heimat ist. Je weiter ich mich Friesland nähere, desto mehr wird meine holländische Seite getriggert und Eigenschaften wie Gelassenheit,
Harmonie und Affinität zum Wasser gewinnen die Überhand. Markus Jenki leitet das Training, hat viel Vorarbeit reingesteckt und auch die Unterkunft organisiert.

Angekommen in der Segelschule ‚de Ulepanne‘ lerne ich mit Peter Keus gleich den Besitzer kennen. Angesprochen auf unser Übungsboot, eine Keus 22, frage ich nach dem Ursprung des Bootes. Ganz sachlich und ohne jeden Habitus erklärt Peter, dass er das Boot 2008 gezeichnet und dann in einer Kleinserie gebaut hat. 2012 Besuch der Boot (Name der Messe in Düsseldorf) und in der Kategorie nominiert als Europas Yacht des Jahres Ich bin beeindruckt!

Nach und nach treffen die anderen Seglerinnen und Segler ein, wir sind insgesamt sechzehn Personen. Zur Unterstützung wird auch ein Motorboot des SHM getrailert, das seinen großen Nutzen schnell unter Beweis stellen wird. Traditionell wird der erste Abend mit einem gemeinsamen Restaurantbesuch begonnen, bei dem für mich schon viele bekannte Gesichter dabei sind, obwohl ich noch keine 18 Monate Vereinsmitglied bin. Nach dem Restaurantbesuch ist es schon spät, aber alle wollen gern vom Trainer einen Vorgeschmack auf den morgigen Tag bekommen. Mit mir sind auch noch einige andere Gennaker-Anfänger dabei, und wir werden vier Keus 22 mit jeweils drei Leuten besetzten. Markus weiß um die Fähigkeiten seiner Schützlinge und besetzt jedes Boot mit mindestens einem „alten Hasen“. Erst jetzt wird klar, wie gründlich das Training von Markus vorbereitet wurde. Eine große lamellierte Karte für jedes Boot, Blätter zum Gennaker-Trimm auf verschiedenen Kursen. Wir sprechen noch kurz über das Wetter.


Das Wochenende soll sonnig und sehr warm werden, die Winde östlich und schwächer werdend. Am Samstagmorgen werden nach dem Frühstück die Übungen besprochen. Wir treffen uns um 9 Uhr bei den Booten, die direkt vor der Haustür liegen. Einige Boote haben schon einen eingebauten Elektroantrieb, unser Boot hat einen Außenborder. Zur Vorbereitung der Fahrt öffne ich die Entlüftung und kontrolliere das Benzin. Sieht alles gut (!) aus. Gegen 10 Uhr sind die meisten segelklar und unsere Crew (Matthias, Daniela und ich) beginnt die Fahrt durch den Kanal. Wir kommen gerade aus dem Kanal in das Slotermeer, da wird der Motor langsamer und geht aus. Matthias, unser „alter Hase“, ist der Steuermann und bringt das Boot ruhig in den Wind zum Segelsetzen. Uns ist klar, dass für die Rückfahrt der Motor besser wieder funktionieren sollte. Wir kontrollieren erneut den Tank und staunen nicht schlecht: die Minimalmarke bedeutet, dass der Tank des Motors eigentlich kurz vor leer (!) war. Mein Fehler, ich hatte den Füllstand falsch eingeschätzt. Wie gut, dass jetzt ein Motorboot verfügbar ist, mit dem später Benzin gebracht werden kann!

Aber wir sind ja zum Segeln hier! Wir luven an und segeln Amwindkurs. Matthias schlägt vor, das erste Reff wieder zu entfernen. Das Boot macht sich gut, wir werden besser bei den Abläufen. Bei Böen schauen wir auf ein GPS-Gerät und messen 5,5 Knoten, das geht bei einer Länge über Alles (LüA) von 6,5 m schon in Richtung maximaler Rumpfgeschwindigkeit (6,2 kn). Matthias spornt uns an und wir setzten bald das erste Mal das Gennaker. Jetzt kommt es auf das Zusammenspiel der vorderen Crew an: Ist der Gennakerbaum klar, wird mit dem Dichtholen der Tackleine der Gennakerhals nach vorn gebracht („gefüttert“). Kurz nach dem Anschlagen des Halses am Baum wird auch schon mit dem Gennaker-Fall der Kopf des Dreieckssegels nach oben gebracht. Am Schothorn sind die Lee- und Luv-Schot befestigt und laufen über Blöcke zum Heck und wieder zurück zum Cockpit. Wir segeln lange Schläge nach Luv, um dann viel Gelegenheit für das Gennaker-Seglen zu haben, beim dem natürlich oft geschiftet (gehalst) werden muss, um den Kurs zu fahren. Am Anfang bin ich mit dem komplexen Zusammenspiel noch ein wenig überfordert, aber das bessert sich stetig und dann „fluppt“ es. Wir sind im Flow. Jetzt wechseln wir die Positionen durch, haben uns als Crew gefunden und viel Spaß. Die Zeit vergeht wie im Flug. Wir sind ja beim Training und somit darf auch der Blick auf die stetige Leistungsverbesserung nicht fehlen! Da kommt auch schon unser Trainer Markus mit dem Motorboot angefahren und geht bei uns an Bord. Daniela und Matthias sind am Gennaker bzw. an der Pinne und Markus schließt sofort, dass ich ja gerade ohne Aufgabe bin (ja – segeln kann so schön sein 🙂 und sagt, ich sei jetzt der „Taktiker“! Ich bin verdutzt – Taktiker?! War ich doch noch nie – ich segle doch nur ein wenig 😉

Aus der Nummer komme ich nicht mehr raus und füge mich. Markus hebt an und erklärt die große Bedeutung eines Taktikers im Team: Vorausschauend, das Feld und den nächsten optimalen Kurs im Blick. Das hört sich ziemlich weit entfernt von mir an, wenn ich auf dem Wasser bin. Einen kurzen Augenblick halte ich inne und wünsche mir solche Menschen mit diesen Fähigkeiten noch woanders in der Gesellschaft…

Aber wir sind auf dem Boot und Markus fixiert mich und fragt, ob ich nach hinten geschaut habe! Habe ich das Containerschiff achtern übersehen? Ich schaue geschwind nach hinten und alles ist natürlich safe. Aber jetzt schwant mir, worauf er abzielt. Wir fahren mit Gennaker Raumschotkurs und achtern ist jetzt Luv und dort ist ein Bereich unruhigen Wassers, das von einer Böe stammt, die vermutlich gleich zu uns kommen wird. Wir tauschen wieder durch und jetzt bin ich an der Pinne und die neue Losung heißt: Wettkampf! Das Slotermeer ist sehr viel größer als der Aasee und ich würde selbst nie auf die Idee kommen, anderen Booten Wind oder Raum (= Wasser) streitig zu machen – es ist doch genug für alle da. Markus zeigt auf das nächste Boot und ich erkenne mit Bernhard Wuth, den „alten Hasen“, auf der anderen Keus. In Münster auf dem Aasee sind Bernhard und Karl-Heinz Kötterheinrich ein lang bewährtes Team auf dem Schwertzugvogel, und denen kann ich nicht das Wasser reichen. Aber jetzt ist Markus der Taktiker und das Boot ist unser Gegner. Ich bin schon wieder verdutzt und soll anluven. Steuerfehler! Ich falle kurz noch mehr ab und es donnert ANLUVEN! Ich reiße mich zusammen und konzentriere mich! Markus bestätigt „Ja, anluven!“ und „Meeeehr!“ Wir gewinnen an Fahrt und verlagern gleichzeitig den Schwerpunkt nach vorn. Meter um Meter pirschen wir uns ran. Wir beginnen, Bernhards Boot vom Wind abzuschatten und überholten die Keus. Bernhard nimmt es sportlich und lacht.

Ja, jetzt will ich mehr. Markus hat einen neuen „Gegner“ ausgemacht und langsam wird mir klar, dass er vielleicht noch versucht, aus mir einen halbwegs anständigen Wettkampfsegler zu formen. Wir erfahren, dass morgen eine Regatta stattfinden soll. Wenigstens hatte die Crew auch ihren Spaß, denn ich kann noch immer als schlechtes Beispiel dienen 🙂

Am Sonntag können wir beim Frühstück vom niederländischen Leiter der Gruppe die Einweisung und auch die Bewertung des Wetters hören. Mir bleibt hängen: „afschuwelijk weinig wind“ – was so viel wie „verdammt wenig Wind“ bedeutet. Upps! Von 10 – 13 Uhr soll noch ein wenig Wind sein, der danach aber immer weiter abnimmt. Wir warten, bis alle den Frühstücksraum verlassen haben und Markus erklärt den Bereich vor der Theke kurzerhand zum Boot. Die Stütze im Raum wird der Mast und wir alle hören zu. Markus demonstriert jetzt nochmal die optimierten Handgriffe und Zuglängen beim schnellen Dichtholen der Lee-Schot. Mit sofortigem Fieren eben dieser kann sich das Gennaker aufbauen. Auch wird die Bedeutung des Vorliegs und seine „nervöse“ Bewegung zur Optimierung der Ausrichtung des Gennakers betont.

Jetzt sitzen die Begriffe auch bei den Neulingen und alle können die Schilderungen nachvollziehen. Auch soll das ständige Halsen wieder geübt werden. Am besten die optimierten Versionen als Rollhalse und auch Rollwende, mit denen man nicht so viel Geschwindigkeit verliert. Den Abschluss soll dann die Regatta bilden, in der alle trainierten Fähigkeiten zur Wirkung kommen sollen.

Es geht auf 10 Uhr zu und die Boote fahren wieder aufs Slotermeer. Der Wetterbericht behält recht und es herrscht deutlich weniger Wind als gestern. Zu Beginn kann noch einigermaßen Amwindkurs gefahren werden, Gennaker können gesetzt werden, aber es ist deutlich weniger „Musik drin“ als gestern. Leider sind die wenigen Funkgeräte anderweitig in Verwendung und die Kommunikation gestaltet sich schwierig. Das Motorboot muss von Boot zu Boot fahren, um ein Meinungsbild zu bekommen. Anders als erst angedacht, wird jetzt doch noch beim schönen Terrassencafé direkt am Eingang zum Kanal nach Balk Mittagspause gemacht. Karl-Heinz denkt noch an das Gruppenfoto und wir gehen wieder auf die Boote mit Ansage zur Regatta. Aber der Wind richtet sich jetzt wörtlich nach der Vorhersage und nach 13 Uhr ist wirklich „tote Hose“. Alle umliegenden Boote, wie unsere auch, stehen, nur ein Motorboot zieht einen Wasserski-Sportler. Uns wird klar, dass an Regatta nicht mehr zu denken ist. Da kommt auch schon das Motorboot, sagt die Regatta ab und sammelt die Helfer ein, die beim Trailern des Motorboots helfen werden. Alle Boote fahren unter Motor wieder zum Stützpunkt, und nachdem die Boote abgerüstet und grob gereinigt wurden, bleibt noch genügend Zeit für ein gemeinsames Bier.

Ich bin sicher, dass ich jetzt für alle spreche und wir gemeinsam auf ein rundum tolles Segelwochenende in Balk zurückblicken können! Großer Dank geht an alle Helfer und Organisatoren, ohne die das nicht gestemmt werden kann! Für die Niederlande noch meine persönliche 5-Punkt-Checkliste: Man ist wirklich in den Niederlanden, wenn

  • für jedes noch so kleine „Vergnügungsboot“ die Straße hochgeht und alle warten müssen.
  • es zum Frühstück runde Zwiebäcke anstatt eckige gibt und Hagelslag (tatsächlich Hagelschlag) kein Blechschaden bedeutet.
  • man einen alten Niederländer nach dem Weg fragt und er antwortet er sei „doof“ und damit nur seine starke Schwerhörigkeit andeutet.
  • man an einem Wegweiser vorbeifährt, wo Heino draufsteht und hier kein Sänger, sondern nur ein Dorf gemeint ist.
  • man eine sehr steile Treppe rauf muss und sich fragt, wie man dort heil wieder runterkommen soll.

Richard Heming

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